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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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halten mußten, um Felsen aus dem Weg zu räumen, glaubte Shan weit vor ihnen ein Geräusch zu vernehmen. Es war ein metallisches Rattern, wie von einer Maschine. Er hörte es auch nur ganz kurz. Dann war alles wieder still, und Shan war sich nicht sicher, ob er seinen Ohren trauen durfte. Hier in der dünnen Hochgebirgsluft war auf den Schall nicht immer Verlaß. Es konnte ein Wagen auf der einsamen Straße vor ihnen sein. Oder ein Flugzeug irgendwo in der Ferne. Niemand kam auf das Geräusch zu sprechen, aber als sie ihre Arbeit beendet hatten, überprüfte Jowa mit einer kleinen Laterne die beiden leeren Fässer und bestand dann darauf, daß Gendun und Lokesh die Plätze tauschten. Falls er dreimal hintereinander hart bremste, sollten Gendun und Shan sich sofort verstecken.
    Doch als es soweit war, blieb nicht genug Zeit für ein Warnsignal. Der plötzliche Halt des Wagens riß Shan aus tiefem Schlummer. Dann hörte er Jowa ärgerlich etwas rufen, anscheinend an jemanden auf der Straße gewandt.
    Schnell half er Gendun in eines der Fässer, schloß den Deckel und spähte vorsichtig über das Dach des Führerhauses. Jowa schaltete die Scheinwerfer ein. Neben einem schweren roten Lastwagen befand sich ein halbes Dutzend Männer. Das Fahrzeug war ungefähr so groß wie Jowas Lastwagen, allerdings längst nicht so alt. Die Motorhaube stand offen, und auf dem Weg verstreut lagen ein Ersatzrad sowie mehrere metallische Gegenstände, bei denen es sich um Teile des Motors handeln konnte.
    Die Fremden gehörten weder zur Öffentlichen Sicherheit noch zur Armee, stellte Shan erleichtert fest. Er sah, daß Jowa mit einem von ihnen sprach, einem großen, breitschultrigen Chinesen, der ein weißes Hemd trug. Jowa deutete auf den roten Wagen und die Straße, die durch das Rad und die Metallteile blockiert wurde.
    Zwei der Männer, beide mit hellbraunen Hemden und Hosen bekleidet, beugten sich über das Rad und schauten immer wieder zu dem Mann mit dem weißen Hemd. Ein weiterer Mann hatte einen Fuß auf die vordere Stoßstange des roten Lasters gestellt und schaute zum Himmel. Die letzten beiden Fremden standen direkt hinter dem Mann, der mit Jowa sprach. Sie alle waren Han-Chinesen, und obwohl ihre Körperhaltung nicht militärisch steif wirkte, ließen ihre forschenden Blicke Shan sofort an Soldaten denken. Er nahm den Lastwagen genauer in Augenschein. Auf der Fahrertür war ein Emblem zu sehen, das in dem trüben Licht aus zwei nach oben ausgestreckten Armen zu bestehen schien, deren Hände sich trafen.
    Leise stieg Shan von der Ladefläche und schlich sich im Dunkeln und außerhalb des Sichtfelds der Fremden an der abgewandten Seite ihres eigenen Wagens bis zur Beifahrertür nach vorn, um dort einen weiteren Blick über die Haube zu werfen. Was kam ihm an diesen Männern nur so eigentümlich vor? Sie waren gut gekleidet, trugen alle die gleichen ordentlichen braunen Sachen, außer der Mann in dem weißen Hemd, der mit Jowa sprach. Sie schienen nicht bewaffnet zu sein; drei von ihnen hatten lediglich große Schraubenschlüssel in den Taschen stecken, und einer hielt einen Hammer. Zwei der Männer trugen dicke Holzstäbe am Gürtel, die wie Schlagstöcke aussahen. Im Führerhaus des anderen Lastwagens entdeckte Shan eine Gestalt auf dem Beifahrersitz, deren Gesicht nicht zu erkennen war. Hin und wieder leuchtete dort ein orangeroter Punkt auf, und aus dem Fenster stieg eine Rauchwolke empor. Shan sah zu dem Mann, der in den Himmel blickte. Das Ungeheuer sei von einem Blitz weggerufen worden, hatte die Frau gesagt. Auf diese Weise sprachen die Dämonen miteinander.
    Die Reparatur würde nur noch wenige Minuten dauern, hörte Shan den Mann mit dem weißen Hemd zu Jowa sagen.
    Aber niemand schien am Motor zu arbeiten. Der Mann fragte, wohin Jowa unterwegs sei. Nach Norden, lautete die Antwort, um dort Salz zu verkaufen. Die beiden Männer hinter dem Sprecher zogen sich ein Stück zurück, als wollten sie sich außerhalb von Jowas Reichweite halten, und gingen dann im Bogen auf den Lastwagen der Tibeter zu.
    »Können wir Ihnen behilflich sein?« fragte Jowa laut und behielt die beiden Männer im Blick, die sich nun seiner offenen Fahrertür näherten.
    »Im Norden ist nichts«, stellte der Fremde mit dem weißen Hemd in skeptischem Tonfall fest. Keiner seiner Begleiter hatte bislang ein Wort gesagt. »Nur Banditen.«
    Lokesh stieg aus dem Wagen und trat an Jowas Seite. Der Mann mit dem weißen Hemd starrte ihn durchdringend

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