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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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an.
    Shan wurde klar, daß er sich womöglich geirrt hatte. Die Öffentliche Sicherheit trat nicht zwangsläufig uniformiert auf. Aber sie trug Maschinenpistolen, nicht Schraubenschlüssel.
    »Bist du ein Bandit, alter Mann?« fragte der breitschultrige Chinese mit humorlosem Grinsen. Seine tiefe Stimme hallte von der Felswand wider. »Wo wollt ihr hin, daß ihr mitten in der Nacht hier herumschleicht?«
    »Salz«, erwiderte Lokesh krächzend und tat dann etwas, das Shan während ihrer Zeit im Gefängnis oft an ihm beobachtet hatte. Sein Kopf begann zu zittern, gefolgt von seinem Arm, als hätte er sich nicht mehr unter Kontrolle und würde unter einer Alterskrankheit leiden. »Gutes tibetisches Salz. Wir reisen so weit, wie es nötig ist, um unser Salz zu verkaufen.« Noch immer zitternd, trat der alte Tibeter auf den Mann zu, der einen Schritt zurückwich und irgendwie erschrocken wirkte. »Wollen Sie es nicht vielleicht kaufen, damit wir umdrehen und heimfahren können? Dieser alte Lastwagen tut meinen Knochen weh. Ich will nach Hause.«
    Der Chinese umkreiste Lokesh einmal vollständig, ohne ihn aus den Augen zu lassen, und stieß dann ein leises Lachen aus. »Man braucht Papiere, um etwas verkaufen zu dürfen, alter Mann. Ich wette, ihr habt keine Papiere. Deshalb fahrt ihr auch nur nachts.«
    Shan überlegte angestrengt. Falls diese Fremden Straßenräuber waren - was konnten die Tibeter ihnen anbieten, um sie zu beschwichtigen? Ein altes Fernglas. Eine Wochenration Vorräte. Eventuell sogar den Wagen und die Salzfässer. Einen beklemmenden Moment lang sah er vor seinem inneren Auge, wie die Chinesen mit dem Wagen wegfuhren, während Gendun weiterhin in seinem Faß steckte.
    Die beiden Männer gingen zum hinteren Ende des Fahrzeugs und leuchteten mit ihren Laternen die Ladefläche aus. Der Mann in Weiß schaute zum Führerhaus seines eigenen Wagens und zu der glimmenden Zigarette, die dort in der Dunkelheit hing.
    Plötzlich stand Shan im hellen Schein zweier Laternen, die von hinten auf ihn gerichtet wurden. Er erstarrte wie ein verschrecktes Tier. Die Männer packten ihn an den Ellbogen und zogen ihn zu dem Mann mit dem weißen Hemd.
    Der Anführer umkreiste Shan wie zuvor Lokesh und stellte sich dann dicht vor ihn. Die Enttäuschung war ihm deutlich anzusehen. Er beugte sich nah an Shans Ohr. »Dreh diesen verdammten Heuschrecken niemals den Rücken zu«, flüsterte er. »Sonst hauen sie dir einen Felsen auf den Schädel und behaupten, es sei ein Steinschlag gewesen.« Heuschrecken. So wurden die Tibeter oftmals von den Chinesen bezeichnet. Es war eine Anspielung auf das Geräusch ihrer eintönig summenden Mantras. Der Mann sah sich mit breitem Grinsen um. Offenbar hatte ihn sein eigener Ratschlag auf eine Idee gebracht. Dann baute er sich vor den drei Männern auf.
    »Ich glaube nicht, daß wir euch heute nacht nach Norden durchlassen können«, verkündete er. Die Männer, die vorgeblich an dem Reifen gearbeitet hatten, standen auf, als hätten sie lediglich auf dieses Stichwort gewartet.
    Shan sah zu Jowa, der sehr angespannt wirkte. Dann steckte er die Hände in die Taschen und schlurfte gemächlich ein Stück nach vorn, bis er vor Jowa stand. »Das solltet ihr aber«, sagte er leutselig.
    Der Mann mit dem weißen Hemd schien amüsiert zu sein. Er zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und zündete sich eine an. »Warum denn, Genosse?« Er stellte sich seitlich hin, als wolle er sichergehen, daß Shan die Männer hinter ihm bemerkte.
    »Weil die Volksbefreiungsarmee hinter uns her ist«, teilte Shan ihm lakonisch mit.
    Das Grinsen des Mannes wurde noch breiter. »Hinter euch drei und einem uralten Lastwagen?« fragte er zweifelnd.
    »Du kennst doch die Armee.« Shan ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Manchmal wollen sie einfach bloß in Übung bleiben.«
    Er erwiderte den Blick des Mannes unbeirrt, und dessen Grinsen verschwand. Der Fremde nickte einem seiner Leute zu, woraufhin dieser zum Lastwagen rannte und mit dem Schatten neben der Beifahrertür verschmolz. Dann starrte er Shan, Lokesh und Jowa ein weiteres Mal durchdringend an, als wolle er sich ihre Gesichter einprägen. Nach einem kurzen Blick zum Führerhaus des roten Lasters schnippte er mit den Fingern.
    Seine Männer brachen sofort in hektische Aktivität aus. Nach weniger als einer Minute war die Straße frei.
    »Seid vorsichtig, Genossen«, warnte der Mann mit frostiger Stimme. »Hier lauern überall Banditen.«
    Jowa wich zum

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