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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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überrumpeln.«
    Während Shan die verblassenden Lichtstreifen betrachtete, fielen ihm die Worte der dropka wieder ein. Der Dämon hatte den Angriff auf Alta eingestellt, weil ein Blitz ihn fortrief. Auf diese Weise sprechen die Dämonen miteinander, hatte sie gesagt. Sie hatte recht, dachte Shan bekümmert. Die Dämonen sprachen tatsächlich auf diese Weise miteinander. Aber wenn Altas Mörder von Sui zurückgerufen worden war, wenn er für Sui gearbeitet hatte, warum sollte er ihn dann verfluchen, als er die Leuchtkugel sah? Vielleicht weil er sein Werk noch nicht beendet hatte und der Junge noch lebte?
    Sie schwiegen eine Weile und starrten auf die Stelle, an der die Leuchtkugeln aufgeflammt waren.
    »Bevor Sie hergekommen sind, haben Sie noch einmal Ihren Bruder getroffen, nicht wahr?« vermutete Shan schließlich.
    »Auf dem Weg hierher. Ich sagte ihm, ich würde lange weg sein, an einem geheimen Ort. Aber ich wollte ihm von meinem neuen Geschäft erzählen und daß wir an Schafe kommen könnten«, sagte Huf. »Versuch keine Tricks, habe ich zu ihm gesagt, sonst endest du noch wie dieser tote Chinese.«
    Doch Bao arbeitete längst mit Hufs Bruder zusammen, begriff Shan beklommen. Arbeite nicht für die Kriecher, hatte Huf ihm eingeschärft. Die zahlen nicht so gut. Auf diese Weise hatte Bao erfahren, daß Sui von Ko ermordet worden war. Und als er Ko zu erkennen gab, was er wußte, mußte der dem Major sein schönes neues Auto überlassen. Bao lernte schnell, wie das neue Wirtschaftssystem funktionierte. Den Leutnant hatte Ko aus dem Weg geräumt, doch nun besaß er einen neuen Rivalen. Und falls es Bao gelang, Huf zu finden, der den Mord bezeugen konnte, würde er Ko vollends in der Hand haben und dessen gesamte lukrative Prämienjagd übernehmen können.
    »Das Geschäftsleben ist ganz schön hart«, sagte Huf und sah Jakli an, als wolle er ihr etwas mitteilen. Aber dann wandte er sich ab und richtete den nächsten Satz an das Feuer. »Dabei wollte ich doch nur meine Mutter beerdigen.«
    Am nächsten Morgen war Jakli verschwunden. Sie hatte keine Nachricht hinterlassen, sondern ließ Shan durch die Führerin lediglich ausrichten, man würde sich beim nadam sehen. Jedermann wüßte von Jaklis Teilnahme am nadam, erzählte das kasachische Mädchen aufgeregt, denn ihre Hochzeit sollte das Hauptereignis des Fests werden. Nur wenige wußten hingegen, daß sie danach aus Xinjiang weggehen und ein neues Leben beginnen würde.
    Shan beschrieb einen Ort mit einer steilen Klippe und einer Wiese auf der anderen Straßenseite und fragte, ob das Mädchen ihn dorthin bringen könnte. »Das ist nicht weit von hier, vielleicht zwei Stunden«, sagte sie. Sie ritten eilig bis zur Straße und führten die Pferde dann eine Weile am Zügel, bis sie die Stelle erreichten, an der Jakli auf der Fahrt nach Senge Drak die Blumen niedergelegt hatte.
    Shan dankte dem Mädchen und entdeckte dann einen Pfad, der auf die hohe Kammlinie führte. Eine halbe Stunde später erreichte er einen schmalen Vorsprung, von dem aus man die Straße überblicken konnte. Er stieg ab und band sein Pferd an einen Baum.
    Jakli war dort. Sie kniete neben einem flachen breiten Erdhügel, auf dem Herbstastern blühten. Shan pflückte einen Zweig rötliches Heidekraut und ließ ihn neben ihr auf das Grab fallen.
    Die junge Frau lächelte unter Tränen. »Der große Detektiv«, begrüßte sie ihn.
    »Ich habe mir Sorgen um Sie gemacht.«
    »Mit Ihnen und Marco zu meinem Schutz, wie könnte da noch etwas schiefgehen?« fragte sie und fing an, vertrocknete Blätter aufzusammeln, die zwischen die Blumen gefallen waren. »Mein Großonkel, der synshy, der Pferdesprecher, hat immer gesagt, daß auch Pferde über Seelen verfügen, die nach dem Tod umherziehen und vielleicht irgendwo in der Fremde in einem anderen Pferd wiedergeboren werden.«
    Shan verstand. »Womöglich sogar im fernen Amerika.«
    Jakli nickte und fuhr fort, das Grab ihres Pferdes zu säubern, jenes Tiers, das vor vielen Jahren von den Soldaten erschossen worden war. Ansonsten gab es niemanden, von dem sie sich verabschieden konnte. Ihr Vater war verschwunden, ihr Clan löste sich auf.
    »Mein Onkel, der synshy, hat einen Hengst geritten, bis er selbst fast neunzig und das Pferd fast fünfunddreißig Jahre alt war. Als es starb, bestand er darauf, es eigenhändig und ganz allein zu beerdigen. Er benötigte zwei Tage, um direkt neben dem Leichnam ein riesiges Loch auszuheben, so wie ich es hier auch

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