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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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bezahlt.«
    »Genau«, sagte der Mann und vollführte eine überhebliche Geste. »Und Sie wollen vorschlagen, morgen mit nur einer halben Lieferung hier aufzutauchen.« Er legte den Kopf in den Nacken, so daß seine Nase genau auf Fat Mao zu zeigen schien. »Es gibt Kampagnen gegen die Korruption.«
    Shan beobachtete, daß der Uigure die Zähne zusammenbiß, um seine Wut zu unterdrücken. »Dann laden wir die Säcke draußen auf der Rampe ab. Sie können sie dann morgen reinbringen.«
    »Sie werden dafür bezahlt, die Ware bis ins Lagerhaus zu transportieren. Betrug bei der geleisteten Arbeit ist auch eine Form der Korruption«, stellte der Mann kategorisch fest.
    »Dann öffnen Sie doch das Lagerhaus.«
    »Das Lagerhaus bleibt geschlossen, und zwar auf Befehl von Major Bao von der Öffentlichen Sicherheit. Sie haben die Erlaubnis, in der Werkstatt zu übernachten.« Er deutete auf ein Gebilde hinter dem Büro, bei dem es sich lediglich um ein hohes Dach auf vier Pfeilern handelte, an dessen einem Ende eine Werkbank stand. »Aber ich warne Sie«, fügte er hinzu, »wir verfügen über eine komplette Aufstellung sämtlicher Werkzeuge.«
    »Wir müssen heute abend noch zu unseren Familien zurückkehren«, protestierte Fat Mao. »Man erwartet uns in Yutian.«
    »Wir alle müssen Opfer bringen. Das ist der Grundgedanke des Lagers Volksruhm«, verkündete der Mann fröhlich, als nutze er dankbar die Gelegenheit, einen politischen Ratschlag zu erteilen. Dann machte er kehrt und verschwand wieder in dem Bürogebäude.
    Fat Mao sah ihm wütend hinterher, warf dann Jakli einen kurzen Blick zu, legte den Gang ein und fuhr zu der Werkstatt. »Kampagnen gegen die Korruption«, murmelte er. »Wie war's mit einer Kampagne gegen Dummheit?«
    Shan erinnerte sich an den Wachposten mit der Maschinenpistole. »Der Mann hat einen Major Bao erwähnt«, sagte er zu dem Uiguren. Die Brigade leitete das Lager, die Anklägerin sorgte für einen gleichbleibenden Nachschub an Häftlingen, aber die Kriecher konnten offenbar nach Belieben walten.
    Fat Mao verzog das Gesicht. »Er ist der Leiter der Öffentlichen Sicherheit von Yutian. Der Vorgesetzte von Leutnant Sui. Wenn es in diesem Bezirk zwei Leute gibt, denen man möglichst nicht in die Quere kommen möchte, dann sind das Major Bao und Anklägerin Xu.«
    Der Uigure und die Kasachen richteten sich aus den Reissäcken auf der Ladefläche des Lasters provisorische Lager her und legten sich sogleich zum Schlafen nieder. Shan ging zu Jakli, die neben einem der Dachpfeiler stand und auf den Antreteplatz der Gefangenen starrte.
    »Damit hätte ich nie gerechnet. Es tut mir leid«, sagte sie. »Jowa hat mir bei Laus Hütte einiges erzählt. Er sagte, man würde daran arbeiten, Sie außer Landes zu bringen, und daß jenseits der Grenze bereits Leute von den Vereinten Nationen auf Sie warten würden. Ich habe nicht nachgedacht. Eine solche Gelegenheit bietet sich praktisch keinem von uns. Wir hätten Sie nicht bitten dürfen, ein solches Risiko einzugehen.«
    »Diese angebliche Flucht ist nur ein nett gemeinter Trost«, sagte Shan. »Bloß ein Versuch, mir mehr Hoffung zu geben. Es wird Jahre dauern. Höchstwahrscheinlich wird es sogar nie dazu kommen.« Er sah in Richtung des Speisesaals, wo er den Wasserhüter getroffen hatte, und dann zu der Baracke mit den vergitterten Fenstern, die für besondere Häftlinge reserviert war. Er hatte vergessen, dem Wasserhüter eine bestimmte Frage zu stellen. Kannte er Gendun?
    Jakli schaute wieder zu dem Antreteplatz. Nein, nicht zu dem Platz, erkannte Shan gleich darauf, sondern zum Zaun oder eher zu dem Seilpferch kurz vor dem Zaun. »Früher gab es viel mehr Pferde«, sagte sie bekümmert. »Heutzutage werden die Tiere in Züge verladen und von Kashi aus nach Osten verfrachtet. Dort gibt es Fabriken, in denen den ganzen Tag nur Pferde getötet werden. Dann füllt man das Fleisch in Dosen ab. Damit die Regierung prahlen kann, wie gut das Volk ernährt wird. Jetzt will man alle Herden, sogar die wildlebenden.«
    Jowa hatte recht gehabt, dachte Shan. Das Armutsprogramm war in Wahrheit ein Vernichtungsplan. Unter dem Vorwand, unwirtschaftliche Aktivposten neu zu strukturieren, löschte die Regierung die gesamte Nomadenkultur aus. Ein diskretes, politisch abgesegnetes Projekt, das schließlich zu Ende führte, was Peking bereits vor vielen Jahrzehnten begonnen hatte.
    »Wieso ein weißes Pferd?« fragte Shan.
    »Weiße Pferde sind beliebte Geschenke.«
    »Meinen

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