Das Babylon-Virus
Guevara, der legendäre lateinamerikanische Guerillaführer.
»Was - ist - das?«, hauchte Amadeo.
»Ein Flugzeug?«, schlug Duarte vor. »Eine ME 108 B Taifun , genauer gesagt. Gut, die korrekte Bezeichnung müsste eigentlich BF 108 lauten, BF für die Bayerischen Flugzeugwerke, weil Messerschmitt damals, 1934…«
»Sie wollen, dass ich in diesen fliegenden Sarg steige?« Amadeo wich einen Schritt zurück.
»Wenn Sie Ihre Reise fortsetzen wollen. Wo soll es denn hingehen?«
Bösartig glitzerte das Neonlicht auf der Kabinenverglasung des Aeroplans aus der Vorkriegszeit.
»Jedenfalls nicht da rein«, flüsterte der Restaurator.
Amadeo hielt die Lider fest aufeinandergepresst. Doch das half nichts. Die Vibrationen, die das unebene Pflaster der Landebahn in seine Wirbelsäule sandte, machten ihm mehr als bewusst, wo er sich befand - und in wenigen Sekunden befinden würde: in der Luft, in einem Kasten aus Alublechen, die zu einem Zeitpunkt zusammengeschweißt worden waren, als keines von Amadeos Elternteilen auch nur in Planung gewesen war.
»Sie werden schon sehen«, bemerkte Duarte hörbar gut gelaunt. »In ein paar Minuten werden Sie den Flug genießen.
Schon die Aussicht ist unschlagbar, wenn man in einem Kabinentiefdecker unterwegs ist.«
Genießen? Amadeo kämpfte mit der Übelkeit - noch stand es unentschieden, aber bestimmt nicht mehr lange. Genießen? Zumindest würde er nicht allzu lange leiden, weil er in kürzester Zeit ganz einfach ohnmächtig werden würde, sobald das Ausbleiben der Vibrationen ihm anzeigte, dass sie den Kontakt zum Erdboden verloren hatten.
Die Vibrationen blieben aus.
»Wussten Sie, dass noch 1971 eine Taifun den Deutschlandrundflug gewonnen hat?«, fragte Duarte. »Der älteste und zugleich der schnellste Flieger im Wettbewerb.«
»Interessant.« Amadeo war sich nicht sicher, ob seine Zähne selbsttätig klapperten oder ob das Gerüttel eine Folge des Luftwiderstands war, der ihnen entgegenschlug.
»Übernehmen Sie mal die Kurbel«, wies ihn der Mann in der Soutane an.
»Kurbel?« Amadeo riss die Augen auf.
Duarte nickte in eine Ecke des Cockpits, das auch zu einem Unterseebot hätte gehören können. »Für das Fahrgestell«, murmelte er. »Ich muss den Propeller justieren und kann nicht gleichzeitig…«
Amadeo kurbelte um sein Leben.
»Einige spätere Bautypen hatten eine automatische Argus-Verstellschraube«, erklärte der commandante, während er selbst mit sämtlichen Händen und Füßen unterschiedliche Kontrollen bediente. »Eine wesentliche Erleichterung beim Alleinflug.«
»Sie fliegen aber nicht allein!«, fauchte Amadeo. »Und ich möchte lebendig ankommen. Warum haben wir nicht wenigstens eine Maschine genommen, die nicht nur aus reiner Gefälligkeit in einem Stück bleibt?«
»Weil Che und ich uns schon ein halbes Leben kennen.«
Der dunkelhäutige Mann nahm ihm die Kurbel aus der Hand und drehte sie mit geübten Bewegungen weiter, bis sie auf Widerstand stieß. »Die Hälfte meines Lebens zumindest - bei ihm natürlich viel weniger im Verhältnis. Außerdem kann diese Maschine fast überall landen. Sie hätten das sehen sollen beim Einsatz in Südamerika.«
Amadeo wollte sich nicht einmal vorstellen, in diesem fliegenden Wrack auch noch unter Feuer zu geraten. »Und warum fliegen ausgerechnet Sie?«, fragte er. »Müssten Sie nicht bei Seiner Heiligkeit… Ich meine, gerade jetzt?«
Duartes Miene wurde ernst. » Sua Santita bittet mich, Ihnen seine Grüße auszurichten. Seine guten Wünsche begleiten uns, und seine Gebete.«
Amadeo verkniff sich die Bemerkung, dass sie die auch gebrauchen konnten.
Und irgendwo spürte er beinahe so etwas wie Erleichterung, ja, Dankbarkeit. Er vertraute Duarte, und Rebecca wusste das. Deshalb hatte sie den dunkelhäutigen Mann verständigt, und das war richtig gewesen.
Schon jetzt wussten zu viele Leute vom Geheimnis der babylonischen Überlieferungen: Alyssa hatte ihnen zwar versichert, dass in ihrer Behörde nur einige wenige Menschen eingeweiht waren, doch da war noch immer Verholen. Amadeo vermied es, sich automatisch über die Schulter umzusehen. Fest hielt er die Augen auf die mechanischen Anzeigen des Cockpits gerichtet.
»Nach London also«, sagte Duarte. Er sprach eben laut genug, dass Amadeo ihn verstehen konnte. Das war allerdings schon ziemlich laut beim Motorengeräusch der Messerschmitt. »Und Ihr Professor ist sich sicher, dass dieser Experte uns helfen kann?«
»Deshalb wird er ihn ausgewählt
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