Das Babylon-Virus
nicht«, murmelte Rebecca. »Wenn der Ali da liegt.«
Amadeo nickte finster. »Nähere Angaben macht der Text nicht. Was danach noch kommt … Thou shalleth keep this stuff disguised/until the things to come arrive. Der Anführer der Babylonier weist seine Gefolgsleute an, das Heilmittel zu verbergen - für die Zeiten, die da kommen mögen.« Er sah die beiden Frauen an. »Für uns also, auch wenn weder Händel noch Goethe noch Einsteins das klar war. Für uns ist es die einzige Chance.«
Tag vier
Rom, Aeroporto Practica di Mare
Wind kam vom Meer, rau und unfreundlich, riss an Amadeos Haaren, seiner Jacke, deren Stoff zu dünn war für diese Witterung, doch der Restaurator rührte sich nicht. Amadeo fühlte sich zurückversetzt an den Morgen zwei Tage zuvor am Ufer des Petzinsees, nur dass die Luft nach Salz schmeckte auf dem Militärflugplatz vor den Toren Roms, einen Steinwurf von der Küste entfernt, vermischt mit einer Ahnung des Kerosins der startenden Maschinen.
Unverwandt sah Amadeo dem Militärflieger nach, der sich in grob östlicher Richtung entfernte. Ein Truppentransport nach Afghanistan - und Rebecca und Alyssa waren an Bord. Und Fabio Niccolosi. Zwei Frauen allein, hatte Alyssa betont, hätten wenig Chancen, ernst genommen zu werden bei der einheimischen Bevölkerung, und Fabio … Amadeo war gezwungen gewesen, sein Urteil zu revidieren: Ein Mann, der sich freiwillig zu einer Frau in den Flieger setzte, die ihn ein paar Stunden zuvor mit Chloroform betäubt hatte, konnte kein ausschließliches Opfer der Hormone sein. Es musste etwas anderes sein, und es war nicht zu erklären. Amadeo glaubte es auch auf Alyssas Gesicht gesehen zu haben, und vielleicht war es gar nicht zu erklären.
War denn Liebe überhaupt jemals zu erklären?
»Rebecca«, flüsterte er.
Ein paar Wochen, hatte Alyssa gesagt, länger hielten die
Nieren die Behandlung mit dem experimentellen Geheimpräparat nicht durch, doch an diesem Morgen war ihm Rebecca vollkommen gesund vorgekommen, als sie sich bereit machte, die Gangway hinaufzuklettern. Ihre grünen Augen hatten gefunkelt wie geheimnisvolle, unergründliche Wasserflächen, und erst ganz zum Schluss, als Amadeos und ihre Hände sich voneinander gelöst hatten, hatte der Restaurator geglaubt, dort noch etwas anderes zu erkennen.
Salziges Wasser. Salziges Wasser, das auch auf seinem Gesicht brannte, herangepeitscht vom Wind, vom Meer.
Amadeo sah der Maschine nach, bis sie über den grauen Ausläufern der Abruzzen zu einem winzigen Punkt geworden und schließlich vollständig verschwunden war.
Ein blechernes Geräusch.
Vai pensiero sull’ali dorate … Flieg, Gedanke, getragen von Sehnsucht. Der Chor der Gefangenen aus Nabucco - gesteuert von einem geheimnisvollen Timing.
»Ja?« Amadeo hatte sein neues Handy schon am Ohr - Rebeccas Überraschung zum Abschied, woher auch immer sie das Gerät so schnell organisiert hatte. »Rebecca?«, fragte er, presste die Handfläche gegen die andere Ohrmuschel. Hundert Meter entfernt rollte mit unterdrücktem Grollen eine neue Transallmaschine in Startposition.
»Zuhören!«, schnarrte es aus dem telefonino .
»Professor!« Unvermittelt spürte Amadeo eine unerklärliche Erleichterung - dabei hatte er gestern Abend erst mit Helmbrecht gesprochen und ihn auf den neuesten Stand gebracht, nachdem er ihm die entscheidenden Seiten aus Händels Büchlein eingescannt und als E-Mail-Anhang zugeschickt hatte.
»Wenig Zeit«, kam es aus dem Handy. Amadeo hatte Mühe, die abgehackten Worte zu verstehen. Mit raschen Schritten entfernte er sich an den Rand des Rollfelds. »Möbius
nicht da heute«, schnarrte und knisterte es. »Krank vielleicht. Wenig Zeit. Muss was erledigen.«
» Dio mio , Professor«, flüsterte Amadeo. »Erledigen? Sie müssen auf der Stelle …« Seine Erleichterung war verschwunden, so schnell sie gekommen war.
»Zuhören!«, knurrte der alte Mann. »Wollten Experten! Habe … guten … guten Mann.«
»Sie haben jemanden? Einen Händel-Fachmann?«
» Zuhören! Adresse!«
»Ich habe nichts zum …«, murmelte Amadeo, doch er wagte es nicht, den Professor noch einmal zu unterbrechen. Er musste sich einprägen, was Helmbrecht ihm sagte, stockend, wort- und silbenweise. Eine Adresse in London.
»Studio!«, versetzte der alte Mann abschließend. »Machen … Aufnahmen. Weiß schon Bescheid. Spricht deutsch … nicht wie Sie und ich, aber spricht.«
Amadeo konnte nur hoffen, dass sich die letzte Angabe nicht auf
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