Das Babylon-Virus
jedenfalls Mühe haben, ihnen den Weg abzuschneiden - es sei denn, sie jagten das gesamte Tal in die Luft.
Doch in jedem der Fahrzeuge sah Rebecca inzwischen Männer, die mehr oder weniger in ihren Sitzen hingen. Merthes’ Verband war nicht ansatzweise in der Lage, eine
ernsthafte militärische Konfrontation durchzustehen. Die Soldaten, die noch imstande gewesen wären, die beiden Schwestern zu begleiten, konnte man allmählich an einer Hand abzählen.
Welche Strategie also verfolgte Alyssa mit ihrer Attacke auf Merthes? Dass es irgendeine Strategie gab, bezweifelte Rebecca keinen Augenblick. Wenn jemand diese Frau kannte, dann war sie es. Aber es ergab keinen Sinn: Wie Merthes reagieren würde, wenn sie unerfüllbare Forderungen stellte, musste ihrer Schwester doch klar sein.
Alyssa straffte ihre Haltung. »Sie lassen mir keine andere Möglichkeit«, sagte sie kühl. »Oberst Merthes, hiermit suspendiere ich …«
»Das wagen Sie nicht!« Die Augen des Obersts quollen aus seinem kahlen Schädel. Seine randlose Brille verstärkte den Effekt noch. »Das können Sie nicht!«
»Ich habe es schon …«
»Herr Oberst!« Die Stimme des Soldaten an der Hecklafette kippte beinahe. »Herr Oberst, da … da oben!«
Merthes, Alyssa, Rebecca selbst: Alle fuhren herum.
Sie waren zu dritt, und sie standen knapp unterhalb des Bergsattels. Nein, sie standen nicht: Mit langsamen Schritten bewegten sie sich den Hang hinab: eine helle, fast weiße Gestalt in der Mitte, die beiden anderen dunkler und etwas größer als der Mittlere, so weit sich das aus der Ferne erkennen ließ.
»Geben Sie mir das Fernglas!« Merthes streckte die Hand aus.
Ungeschickt rupfte der Soldat sich den Feldstecher vom Hals und reichte ihn seinem Vorgesetzten.
Seinem ehemaligen Vorgesetzten, dachte Rebecca. Oder war die Absetzung des Obersts gar nicht wirksam? Im entscheidenden Moment war Merthes Alyssa ins Wort gefallen.
War jetzt der Zeitpunkt, sich darüber den Kopf zu zerbrechen?
Alyssa griff nicht ein. Sie kniff die Augen zusammen, spähte den Hang empor. Die Männer aus den Bergen waren mehrere Hundert Meter entfernt, Einzelheiten waren noch immer nicht auszumachen. Sie trugen die typische zeltartige Kleidung der Wüstenbewohner, die auf den ersten Blick lediglich aus langen Stoffbahnen zu bestehen schien.
»Das in der Mitte ist ein alter Mann«, murmelte Merthes, während er die Schärfe an den Okularen nachregelte. »Ein Dorfältester vielleicht oder einer ihrer Anführer. Die beiden anderen sind …«
»Eine Ehrengarde«, sagte Rebecca. »Können Sie sehen, ob sie bewaffnet sind?«
»Die Jüngeren ja, aber ich glaube nicht …«
Nein, auch Rebecca glaubte nicht, dass die Männer in feindseliger Absicht kamen. Sie waren Gesandte, Parlamentäre. Endlich hatten die Aufständischen auf Merthes’ Versuche zur Kontaktanbahnung reagiert. Sämtliche Angehörigen des Konvois mussten das inzwischen begriffen haben, und alle blickten jetzt den zerklüfteten Hang empor, ausgenommen diejenigen Soldaten, bei denen die Krankheit so weit fortgeschritten war, dass sie überhaupt nichts mehr mitbekamen.
Alles blickte hinauf zu der felsigen Anhöhe - und in diesem Augenblick zerriss ein Knall die Stille, ein kurzer, schneller Laut, der sich an den Flanken der Berge brach, am Grunde der Schlucht gespenstisch widerhallte.
»Was zur …« Merthes setzte den Feldstecher ab. »Was …« Schon hatte er ihn wieder vor den Augen. »Mein Gott«, flüsterte er.
Rebecca sah es, auch ohne Fernglas. Die helle Gestalt, der Dorfälteste: Er war in sich zusammengesackt, seine Begleiter beugten sich über ihn.
»Wer in Dreiteufelsnamen war das?« Die Stimme des Obersts überschlug sich. »Wer war das?«
Unruhe im Konvoi, Verwirrung. Die Männer starrten einander an, einige waren bereits aus ihren Fahrzeugen gestiegen, sahen sich unruhig nach allen Seiten um.
»Wer - zur - Hölle - war - das?« , brüllte Merthes noch einmal.
Rebeccas Augen kehrten zurück zu der Stelle oben am Berg. Der alte Mann versuchte sich aufzurichten - oder seine Begleiter zogen ihn in die Höhe. Es war nicht zu erkennen, vier-, fünfhundert Meter entfernt.
Rebecca stutzte.
»Das ist viel zu weit«, flüsterte sie. Sie fuhr zum Oberst herum. »Haben wir Scharfschützen dabei?«, zischte sie.
»Wer zur …« Merthes brach ab, starrte sie an. »Haben Sie den Verstand verloren? Sollen wir die beiden andern auch noch umnieten?«
»Haben Sie Scharfschützen dabei?«
»Was wollen Sie mit
Weitere Kostenlose Bücher