Das Babylon-Virus
da vor sich haben?«, blaffte Helmbrecht. »Das ist demotisch! Gut, ein ziemlich hingeschludertes Demotisch und noch dazu eins, das man höchstens in der hinterletzten Diaspora so geschrieben hat, aber eindeutig Demotisch!«
»Demotisch?«, fragte Rebecca. »Ah ja.«
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich die Lippen ihrer Schwester bewegten. Alyssa beugte sich vor, betrachtete die Schrifttafel mit neuem, kritischem Blick. Das Wort schien ihr irgendwas zu sagen, doch da war sie die Einzige. Schludrig oder gestochen scharf - Rebecca erfuhr gerade zum ersten Mal von der Existenz des Demotischen. »Und was schreiben die Demoten?«, erkundigte sie sich.
» Demoten ?«, schnarrte der Professor. »Kokettieren Sie mit Ihrem Unwissen, oder ist Ihnen das wirklich nicht klar? Das Demotische ist nichts anderes als eine Weiterentwicklung des Hieratischen!«
»Ah ja?«
Die Laute, die jetzt aus der Hörmuschel kamen, besaßen vermutlich keinen Inhalt. Falls doch, war Rebecca ganz froh, dass sie ihn nicht mitbekam. Obwohl … Demotisch vielleicht? Oder hieratisch?
»Hieroglyphen!«, röhrte Helmbrecht. »Kennen Sie?«
»Schon mal gehört«, gab sie zu. »Diese Zeichen sind Hieroglyphen?«
»Diese Zeichen sind Abwandlungen einer Schrift, die eine Abwandlung einer Schrift darstellt, welche wir als Abwandlung einer anderen Schrift begreifen dürfen, die man als Abwandlung der ägyptischen Hieroglyphen bezeichnen
kann. Die Sprache, in der man mit demotischen Buchstaben schrieb, war fast durchweg das Altägyptische.«
»Dann haben wir in einer Höhle mitten in Afghanistan altägyptische Texte gefunden?«
»Nein.«
Rebecca hob die Augenbrauen. Das war Helmbrechts erster Kommentar, den sie auf Anhieb verstanden hatte. Leider schien er nicht vorzuhaben, noch etwas hinzuzufügen.
»In welchen Sprachen kann man mit demotischen Buchstaben denn noch schreiben?«, fragte sie.
»In welchen Sprachen können Sie denn noch schreiben mit unserem eigenen Abc?«, erkundigte der Professor sich lauernd. »Na? Naaa? - Cae-sar! A-kro-po-lis! Py-ra-mide! Mao-Tse-tung! Mon-te-zu-ma! - Fault Ihnen die Hand ab? Sie können jede Sprache in jeder Schrift wiedergeben. Manchmal wird’s etwas umständlich, aber probieren Sie’s mal aus!«
Rebecca hatte gerade nichts zu schreiben dabei, aber das war auch unnötig. Der Professor hatte recht.
»Englisch«, stellte er fest.
Diesmal blieb Rebecca die Spucke weg. Alyssa stand nur ein paar Schritte entfernt, und Helmbrecht schepperte laut genug, dass noch das gesamte ISAF-Kontingent ihn verstehen konnte. Englisch? , las Rebecca von den Lippen ihrer Schwester.
» There need’s no ghost, my lord, come from the grave / To tell us this. - Zu Deutsch: Dazu braucht’s keinen Geist, um uns das zu erzählen.«
»Was?« Rebecca fand ihre Sprache wieder.
»Dass es in ganz Dänemark keinen Schurken gibt, der nicht gleichzeitig ein Schuft ist. - William Shakespeare: Hamlet, Prinz von Dänemark, erster Akt, fünfte Szene.«
»Sie …« Rebecca sah Alyssas fassungsloses Kopfschütteln.
Die ISAF-Soldaten glotzten einfach nur. Der Gesichtsausdruck des Obersts war überhaupt nicht zu deuten. »Sie wollen sagen, dass hier ein Text von William Shakespeare eingemeißelt ist?«
»Nein.«
Rebecca öffnete den Mund, doch diesmal sprach der Professor weiter, bevor sie etwas sagen konnte.
»Ich will sagen, dass ein Text von William Shakespeare mit einem Schreibgriffel in den weichen Lehm gegraben wurde. Selbst aus Ihrer hundsmiserablen Aufnahme ist das noch eindeutig zu erkennen.«
»Aber wie konnten die alten Babylonier einen Text kennen, der erst ein paar tausend Jahre später entstanden ist? Und was soll das bedeuten?«
»Guck ich toten Babyloniern in die Köpfe?«, schnauzte der Professor. »Ist kein schöner Anblick, glauben Sie mir. Mein Freund Walewski hat mal einen mitgebracht.«
»Walewski?«
»Fjodor Walewski, Ägyptologe. Leider verstorben inzwischen«, murmelte Helmbrecht. »Wir haben ihn einbalsamiert. War sein Wunsch. - Keine Ahnung, woher sie den Hamlet kannten in Babylon. Müssen Sie schon selbst rausfinden. Ich kann Ihnen nur verraten, was auf der Tafel steht und warum.«
Ratlos blickte Rebecca die Hörmuschel an - bis ihr zu Bewusstsein kam, was der alte Mann ganz am Ende gesagt hatte.
» Warum ?«, fragte sie.
»Wenigstens hören Sie zu«, grunzte der Professor. Er holte Luft. » Why, right; you are i’ the right «, deklamierte er. » And so, without more circumstance at all, / I hold it fit
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