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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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man die Chance bekam, am Spiel solch großer Geister teilzunehmen. Dann konnte man sich auch mit seinem Gegner verständigen und bei Gelegenheit die Texte tauschen.
    Amadeo sah plastisch vor sich, wie er seinen ehemaligen Kollegen mit aller Höflichkeit in den Orkus beförderte.
    Doch in Wahrheit sah er nur den Papyrus, sah die etwas zittrigen griechischen Buchstaben, die auf einen Schreiber schließen ließen, der normalerweise ein ganz anderes Werkzeug geführt hatte als die Feder.
    Sophokles.

    Euripides.
    Homer.
    Das Haus der Spinne, Alexanders perfider Beitrag zur Tradition der babylonischen Codes. Das Haus der Spinne war ein Labyrinth, ein unterirdisches System von Irrwegen, die hierhin, dorthin führten, ins Nichts zum Teil - und dieses Nichts war gespickt mit tödlichen Gefahren.
    Doch es gab eine Chance, diesen Gefahren zu entgehen, den Weg ans andere Ende, zum Heilmittel, zu finden. Wer das Wissen der gesamten Zivilisation in sich vereinte, die Werke der großen Gelehrten in- und auswendig kannte: Die großen Dichter selbst würden ihm mit weisen Worten die Wege weisen.
    Die literarischen Legenden aus der Zeit Alexanders des Großen, wohlgemerkt.
    Sophokles.
    Euripides.
    Homer.
    Rebecca Steinmann war die große Liebe in Amadeo Fanellis Leben. Gerade vorhin hatte er wieder darüber sinniert, wie fürchterlich tough sie doch war in nahezu jeder Beziehung.
    Nahezu. Es gab Ausnahmen.
    Das Wissen um altgriechische Literatur gehörte dazu. In ihrer Kinderzeit waren ihr wohl mal Gustav Schwabs Sagen des Klassischen Altertums in die Hände gefallen, doch damit hörte es dann auch auf. Bestimmt war ihr Homer dem Namen nach vertraut. Aber Sophokles? Euripides? Den Dichter der Elektra , der Medea , der Iphigenie würde sie womöglich für ein Darmvirus halten!
    Geschweige denn, dass sie irgendwelche seiner Texte kannte! Wenn der richtige Weg durch das Haus der Spinne mit Dichterworten aus dem alten Hellas verschlüsselt war,
konnte der Weg nur in eine Richtung führen: in die Katastrophe.
    Görlitz hatte seine Wanderschaft durch den Transporthubschrauber endlich eingestellt. Amadeos Hälfte des Papyrus hatte er nur einen kurzen Blick gegönnt. Stattdessen lehnte er jetzt an einer Espressomaschine, die mit Sicherheit nicht zur Standardausrüstung des CH-53 gehörte. Der Restaurator wusste genau, dass er einfach nur bitte sagen musste, und schon würden die Gorillas ihm den besten, stärksten, dampfendsten caffè servieren, den ein vollautomatisiertes Brühsystem nur hervorbringen konnte. Aber ausgeschlossen: Ein Amadeo Fanelli aus den Marken hatte seinen Stolz.
    Vai pensiero sull’ali dorate …
    Sein Klingelton war nur gedämpft zu hören. Das Motorengeräusch des Transporthubschraubers schluckte das meiste, und der protzige Aktenkoffer, in dem Görlitz Amadeos Handy verstaut hatte, tat ein Übriges. Aber eindeutig: Es war der Chor der Gefangenen.
    Der Mann mit dem Narbengesicht betrachtete ihn, musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen - nein, der Kerl zwinkerte ihm zu !
    »Hach!«, seufzte Görlitz. »Muss Liebe schön sein.«
    Wie du inzwischen aussiehst, sprichst du davon als Außenstehender, dachte Amadeo. Doch er schwieg.
    »Ich könnte dir dein Spielzeug natürlich wiedergeben«, bemerkte Görlitz. »Also das Handy-Spielzeug. Dann könntest du Rebecca warnen - und ihr vielleicht ein wenig beim Knobeln helfen mit ihren Inschriften.«
    Amadeo sah ihn an. »Das könntest du«, sagte er so ausdruckslos wie möglich.
    »Auf diese Weise könntest du ihr dann das Leben retten«, grübelte der Mann mit dem Narbengesicht. »Wäre schon
sehr großzügig von mir, wenn ich mir das so überlege. Kaum ohne Gegenleistung zu machen.«
    »Gegenleistung?« Einen Moment lang war sich Amadeo sicher, dass er sich einfach verhört haben musste. Und über diesen Moment hinaus war er sich sicher, dass es nichts, aber auch gar nichts gab, was er Görlitz als Gegenleistung hätte anbieten können - es sei denn, er streckte freiwillig die Waffen und gab ihm den Weg frei, damit der sich als größter Geist ihrer Epoche beweisen konnte. Genau das aber würde sein ehemaliger Kollege niemals akzeptieren. Schließlich wollte er Amadeo besiegen. Ein Amadeo Fanelli, der freiwillig kapitulierte, war ohne Wert für ihn.
    Görlitz betrachtete ihn. Sein Mundwinkel hob sich - nur der linke, über den rechten hatte er keine rechte Kontrolle mehr. »Ahnst du es nicht, mein Lieber? Na?« Er hielt inne. Sekundenlang war nichts zu hören als das

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