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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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hatte den Turm knapp verfehlt, zog über die beiden Frauen hinweg, die sich noch an das Seil klammerten. Hektisch warf sich Alyssa voran, die Fassade noch meterweit entfernt, Rebecca hinter ihr. Rechte Hand, linke Hand, rechte …
    Eine heftige Erschütterung. Das Seil! Ein Rucken, und auf einmal …
    »Festhalten!«, brüllte Duarte.
    Auf einmal war kein Widerstand mehr. Leere Luft. Rebecca fiel! Die Rakete! Die Kabelrolle! Ein Schrei … Ihre eigene Stimme, ihre …
    »Festhalten!«
    Der neue Ruck riss ihr beinahe die Arme aus den Schultergelenken. Im selben Moment prallte sie gegen den Stein der Turmfassade.
    »Nicht loslassen!«, kam es von oben. »Wir haben dich!«
    Flüssiges Feuer in ihrer Brust, auf ihrer Zunge der Geschmack von Blut. Rebecca klammerte sich fest. Sie war gar nicht imstande, das Seil loszulassen. Wie nahe war sie den Käfern? Das Zirpen, Rauschen, Zischeln war direkt in ihrem Ohr - oder war es das Geräusch des Blutes in ihren Schläfen?
    Ihr Körper schrammte über den rauen Stein, als der commandante und ihre Schwester sie emporhievten, Meter um Meter.

    Hände, die sie packten, auf einen schmalen Vorsprung zerrten.
    Schillernde Kreise vor ihren Augen - und Alyssas Gesicht.
    »Süße, du musst echt an deiner Kondition arbeiten.«

Der Turm von Babel
    Der Einzelne ist nichts, dachte Amadeo.
    Stoltenbecks elektrische Käfer hatten das Energiefeld zum Kollabieren gebracht, indem sie alle zugleich über die Grenze geschritten waren mit ihren winzigen, chitingepanzerten Gliedern - und diesen Grenzübertritt mit dem Leben bezahlt hatten.
    Kein größter Geist. Kein Geheimnis.
    Nur das stand am Ende der babylonischen Rätsel:
    Der Einzelne ist nichts.
    Das ist falsch , dachte Amadeo. Es war dasselbe Gefühl, derselbe Gedanke, der ihm auf Verholens Geheimtreppe durch den Schädel gefahren war.
    Es widersprach dem Schema. Der Einzelne war nicht nichts. Die Käfer waren kein Nichts, der Konvoi von Oberst Merthes war kein Nichts gewesen, und Rebecca …
    Amadeo schloss die Augen, setzte mechanisch weiter einen Fuß vor den anderen.
    Nein, Rebecca war kein Nichts gewesen. Weil sich etwas veränderte, wenn sie nicht mehr da war. Weil er, Amadeo, nicht mehr der war, der er gewesen war. Weil er nicht mehr vollständig war ohne sie.
    Nein, der Einzelne war nicht nichts.
    Auf den Einzelnen kam es an, auf den größten Geist der Epoche, aber auch auf jeden anderen. Wenn es eine Lehre aus diesem Abenteuer gab, dann war es diese.

    Jeder der Codes, die ihn auf seiner Reise einen Schritt weiter geführt hatten, war anders gewesen, hatte Amadeo gezwungen, aus anderen, neuen Augen zu sehen. Jeder Einzelne, der ihn auf dieser Reise begleitet oder ihm geholfen hatte - der Professor, Rebecca, Fernwaldt, Duarte, Styx, ja, selbst Steffen Görlitz: Jeder von ihnen hatte anders gedacht auf eine einzigartige Weise. Der Einzelne war wichtig, und das gesamte Geheimnis war noch einmal mehr als die Summe dieser einzelnen Teile.
    Stoltenbeck dachte zu kurz.
    Und doch hatte die Phalanx seiner Käfer den Zugang geöffnet.
    Es war falsch.
    Und doch ging Amadeo weiter voran, stieg die Stufen empor.
    Warum der General trotz allem ausgerechnet ihn vorschickte, war Amadeo schleierhaft.
    Kanonenfutter vermutlich. Wie seine Käfer.
    Amadeo spürte keine Angst. In seinem Innern war nur Leere und Verwirrung.
    Die Treppe, die auf die oberste Ebene des Turms führte, war anders als alle zuvor. Eine Wendeltreppe, die sich um eine Basis aus nachtschwarzem Stein wand: den babylonischen Blitzableiter. Doch jetzt war die Stromzufuhr unterbrochen - zum ersten Mal seit fünftausend Jahren. Das erste Mal seit fünftausend Jahren, dass einem Menschen Zugang gewährt wurde zur Spitze des Turms von Babel.
    Das Dach des Turms lag vor ihm. Es war flach, von einer niedrigen Brüstung umgeben, und es war leer - ausgenommen eine Art Antenne, die aus einer seltsamen Konstruktion hervorwuchs: einer Thronbank unter einem steinernen Baldachin.
    Und diese Bank war besetzt.

    Ein Mann blickte Amadeo entgegen, gekleidet in ein bodenlanges Gewand von unbestimmter Farbe. Ein babylonisches Gewand?
    Der Mann war keine fünftausend Jahre alt.
    Genauer gesagt war er nicht einmal volljährig.
    Es war Fabio Niccolosi.
    Stocksteif blieb Amadeo stehen.
    Fabio Niccolosi.
    Er starrte den Jungen an - und der Junge starrte zurück, rührte sich nicht. Erkannte er seinen capo ?
    Der Restaurator öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Ein Brett vor dem Kopf, dachte er. Genau so

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