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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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präzise dosiertem Druck einen halben Zentimeter tief ins Fleisch schnitt.
    »Einmal muss ich noch«, murmelte Duarte. »Dann kann ich sie holen.«
    Die rothaarige Frau nickte. Sie nahm die Dinge wahr, die um sie herum geschahen, und doch erreichten sie ihr Bewusstsein nur gedämpft, wie durch einen Filter: Duartes Stimme, seine Finger, die sich bemühten, die Kugel aus ihrem linken Oberschenkel zu entfernen. Weiter weg die halblauten Unterhaltungen der Männer, die um das Lagerfeuer saßen, und die Ahnung beißenden Brandgeruchs, den die Abendbrise zu ihr trug. In der Ferne stand ein rötlicher Schimmer am Nachthimmel und kündete von dem flammenden Inferno, das die Halle verschlang, in der sie auf das Kokain gestoßen waren.

    Duarte hatte die Hubschrauber schon benachrichtigt; in ein paar Stunden würden sie in einem Flieger zurück nach Italien sitzen.
    Für diesmal war ihre Mission zu Ende.
    »Sooooooooo …« Ein Schattenriss schob sich vor Rebeccas Augen. »Da haben wir den Übeltäter.« Kirschkerngroß und bösartig hing das Projektil in der Gefangenschaft einer chirurgischen Pinzette. »Ein paar Zentimeter weiter, und es hätte den Knochen erwischt«, sagte der dunkelhäutige Mann in der Priestersoutane streng. »Oder eine der großen Adern. Du weißt, was das bedeutet hätte. Nächstes Mal denkst du nach, bevor du in einen Raum spazierst, den wir noch nicht gesichert haben.«
    »Wir wussten nicht, ob es nicht Geiseln gibt …« Ihre Zunge wollte ihr nicht richtig gehorchen. »Kinder.«
    Duartes Antwort bestand in einem missbilligenden Brummen. »Ich mache die Wunde jetzt zu. Du willst wirklich kein richtiges Analgetikum?«
    »Nein«, flüsterte Rebecca. »Das Zeug ist verdammt gut.«
    Sie hatte nicht genau verstanden, wie die Substanz sich schimpfte. Zwei der Indios, die wie sie in der Lagerhalle verletzt worden waren, hatten sich vehement geweigert, sich eine Lokalanästhesie verpassen zu lassen. Rebecca war einfach neugierig gewesen. Natürlich war es kein Curare - das berühmt-berüchtigte Pfeilgift wirkte auf das zentrale Nervensystem und war damit ungeeignet für die lokale Anwendung. Doch was immer es war: Rebecca spürte nicht mehr als ein leichtes Kribbeln rund um die Schussverletzung. Nichts, was man als Schmerz hätte bezeichnen können. Obendrein machte das Zeug angenehm leicht im Kopf.
    »Okay«, seufzte Duarte. »Ich würd an deiner Stelle in den nächsten Wochen keinen Marathon laufen, dann sollte
das wieder werden. Lass dich ein bisschen verwöhnen von Amadeo, wenn wir wieder in Rom sind.«
    »Der verwöhnt im Moment eher seine Bücher.« Rebecca legte den Kopf in den Nacken und sah dem Rauch des Lagerfeuers nach, der unter dem sternklaren Himmel zerfaserte.
    »Das ist sein Job.« Der dunkelhäutige Mann hatte sich von den Flammen abgewandt und einen Behälter mit reinem Alkohol geöffnet. Nacheinander ließ er seine chirurgischen Instrumente in die Flüssigkeit gleiten. »Das hast du gewusst.«
    »Ich hab mich nicht beschwert«, murmelte sie.
    »Und er beschwert sich?« Duarte verschloss das Gefäß und wischte sich die Finger an seiner Soutane ab. »Er wusste doch genauso, worauf er sich einlässt mit dir.«
    Rebecca nickte stumm. Der Mann im Priestergewand betrachtete sie ohne Regung; einzig der Widerschein der Flammen verlieh seinen dunkelhäutigen Zügen geisterhaftes Leben. Vielleicht sind heute Nacht tatsächlich Geister in der Luft, dachte sie. Die Geister der Toten, denen die Urbevölkerung in diesem Land eine abergläubische Verehrung entgegenbrachte. Dann waren es allerdings nicht allein die Toten des heutigen Tages, die Männer, die an der Lagerhalle gestorben waren. Andere Bilder, andere Gesichter - sie schienen den Flammen zu entsteigen und sich vor Duartes Züge zu schieben. Ein tiefes Seufzen war zu hören. Kam es von Rebecca selbst, oder war es das Flüstern des Nachtwinds?
    Das offene, ewig unrasierte Gesicht ihres Vaters. Nur an seinen Augen war zu erkennen, dass er in seinem Leben zu viele Dinge gesehen hatte, die ein Mensch nicht hätte sehen sollen. In Chile, im Kampf gegen die Junta, und später, als sie sich in die Berge zurückgezogen hatten. Bis zu jenem Tag … Der Rauch verwirbelte im Lufthauch, suchte sich neue Ahnungen von Formen, weichere Züge, aus denen Freundlichkeit
sprach, zugleich aber auch messerscharfer Intellekt und jene unbeugsame Entschlossenheit, die Rebecca von ihrer Mutter geerbt hatte. Durchhalten! Durchhalten nach jenem Tag, an dem Rebeccas

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