Das Babylon-Virus
können; nur das Herzchen hätte sie gleichmäßiger hingekriegt.
Vor den Fenstern dämmerte der Morgen über der Ewigen Stadt.
Rebecca hing in ihrem Sessel. Die Narbe in ihrem Oberschenkel pochte, das verletzte Bein hatte sie auf den Couchtisch gelegt. Ihr Kopf dröhnte vom Transatlantikflug und den Nachwehen des indianischen Betäubungsmittels. Im Fernseher bewegten sich stumm und unheilverkündend die botoximprägnierten Lippen der Nachrichtensprecherin, während im Hintergrund ein Einspielfilm über die neue Grippeepidemie lief.
Rebecca starrte auf den gerahmten Mapplethorpe-Akt an
der Wand, einen Veteranen aus Amadeos Singlezeit, starrte auf ihren Seesack mit den schmutzigen Klamotten aus Südamerika, starrte ins Leere.
Sie hatte selbst den größten Teil ihres Lebens allein gewohnt und war immer der Meinung gewesen, dass das die einzige Art war, in der ein Mensch wie sie überhaupt leben konnte. Heute kam sie zum ersten Mal ins Grübeln.
Umständlich zog sie das Bein von der Tischfläche und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Amadeo gegenüber hatte sie im Moment einen entscheidenden Vorteil: Er hatte sein Handy mitgenommen. Sie brauchte nur bei ihm durchzuklingeln. Sie schüttelte den Kopf. Nein, das ging einfach nicht. Wie würde das aussehen für ihn? Wie würde sie selbst sich dabei vorkommen?
Und doch ließ ihr der Gedanke keine Ruhe. Wo steckte Amadeo? War es ihm zuzutrauen, dass er sich mit einem halben Dutzend seiner Bücher irgendwo in einer Pension einmietete, nur um ihr zu zeigen …? Unsinn.
Rebecca blieb stehen. Die Digitaluhr über dem Fernseher zeigte neun Uhr drei. In der officina an der Via Oddone würde jetzt allmählich die Arbeit losgehen.
Mit drei Schritten war sie an der Tür und nahm den Autoschlüssel vom Haken. Fünf Minuten später umfing sie der römische Berufsverkehr.
Rebecca wusste, dass sie ein kalkuliertes Risiko einging: Es gab einfach zu viele Unternehmen, die im Viertel rund um die officina ihren Sitz hatten, ganz zu schweigen von den gefühlten drei Dutzend kirchlicher Institutionen.
Um diese Uhrzeit irgendwo in der Nähe der Via Oddone einen Parkplatz zu finden war ein Glücksspiel, doch wenn man stur genug war, standen die Chancen recht gut, dass man irgendwann einen Treffer landete.
Normalerweise. Mittlerweile aber drehte Rebecca die
dritte Runde um den Block, immer die gleiche Strecke: am mehrstöckigen Gebäude mit der Werkstatt vorbei, dann links, am Park mit der Bushaltestelle entlang, wieder links und wieder und noch einmal links - und noch immer war nichts frei geworden.
Beim vierten Mal hatte sie die Nase voll. Rechts! Und jetzt ein bisschen Zickzack - die ganze Gegend bestand aus Einbahnstraßen. Wie von Geisterhand hatte sich in ihrem Kopf ein Bild manifestiert. Zwei Blocks entfernt gab es eine Stelle, die sie noch nie probiert hatte, aber dort war jedenfalls immer was frei.
Der Straßenbelag veränderte sich. Glatter Asphalt wich einer rissigen Betondecke, hier und da schaute holperiger Kopfstein hervor. Rebecca spürte ein unangenehmes Ziehen im verletzten Bein, dann, endlich, traten die düsteren Häuserfassaden vergangener Jahrhunderte zurück, und der Toyota bog auf eine große Pflasterfläche ein. Automatisch griff Rebecca nach der Sonnenbrille, die einsatzbereit über dem Rückspiegel hing. Na also: Auf der rechten Seite gab es jede Menge Platz im Schatten einer Mauer. Die sah zwar aus, als hielte sie nur noch aus alter Gewohnheit zusammen, doch innerhalb der halben Stunde, die Rebecca den Wagen hier stehen lassen wollte, würde sie schon nicht umfallen. Anscheinend machten sich ja auch die beiden Herren von den carabinieri keine Sorgen, die direkt daneben parkten.
Rebecca warf ihnen ein freundliches Lächeln zu, während sie zurücksetzte. Schwungvoll stieg sie aus, passte lediglich auf, dass sie das Bein nicht zu sehr belastete.
Ein Hüsteln. Der ältere der beiden Uniformierten, ein Typ mit Schnauzer, zupfte an seiner Krawatte. » Signorina …« Er musterte Rebecca von oben bis unten, brachte es aber fertig, nicht allzu deutlich auf ihr Augenbrauenpiercing zu starren
- das musste man ihm lassen. »Sie haben dieses Schild gesehen? Hier ist reserviert für Angehörige …«
Immer noch lächelnd hatte Rebecca ihre Brieftasche gezückt und präsentierte ihm ein Dokument: Pontifica Commissione per lo Stato dell’ Vaticano prangte in dicken Buchstaben am Kopf der Seite. Für den gewünschten Effekt hätte wohl auch schon das Wappen ihres
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