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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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ließen sie sich auch nur einschüchtern von den Uniformen der Flughafenangestellten. In Italien hatte kein Mensch Respekt vor Uniformen, aber in Italien wäre das Personal auch gar nicht erst auf die Idee gekommen, an der Gepäckausgabe für Ordnung zu sorgen.
    Der junge Restaurator war fast dankbar für die erzwungene Ruhepause. Sie gab ihm Gelegenheit, überhaupt richtig am Boden anzukommen, nachdem er die eineinhalb Stunden an Bord der kleinen Maschine in einem Zustand verbracht hatte, dem der Begriff »bei Bewusstsein« nur ungenügend gerecht wurde. Sechs oder sieben Mal hatte er eine Broschüre durchgeblättert, die mit Verhalten im Notfall betitelt war und sich in erster Linie mit den Details einer Notwasserung auseinandersetzte, welche sich auch sehr durchdacht anhörten - wäre da nicht der unschöne Umstand gewesen,
dass es auf der Flugroute von Fiumicino nach Berlin-Tegel keine irgendwie nennenswerte Wasserfläche gab. Schließlich hatte Amadeo den Wisch beiseitegelegt und stattdessen begonnen, sich über Albert Einsteins Leben kundig zu machen, mit Texten, die er sich heute Morgen noch aus dem Internet besorgt hatte.
    Einstein hatte ganz klare Vorstellungen gehabt, als er sich im Jahre 1929 am Rande des Örtchens Caputh ein Sommerhaus bauen ließ: Ein Fluchtort hatte es werden sollen, weit weg vom Großstadttrubel Berlins, ein Ort der Inspiration. Obwohl er mit seiner Familie insgesamt nur vier Sommer dort verbringen konnte, bevor die Nazis ihn aus dem Land jagten, hatte er diese Zeit später als die glücklichste seines Lebens bezeichnet. Seine Beschreibungen stundenlanger Segeltouren auf den umgebenden Seen, mit denen er anscheinend jede freie Minute zugebracht hatte, lasen sich fast schon schwelgerisch.
    An dieser Stelle hatte Amadeo die Dokumente nachdenklich sinken lassen: Was, wenn diese Ausflugsfahrten noch einen ganz anderen Sinn gehabt hatten? Für Einsteins Biographen bedeutete die Segelei kaum mehr als eine Fußnote, doch die Biographen wussten nicht, was Amadeo wusste. Für ihn waren die Bootsausflüge etwas völlig anderes: ein Zeichen, eine Bestätigung, ein Beweis beinahe. Einstein hatte sich auf den Gewässern sehr genau umgesehen auf der Suche nach dem perfekten Ort für ein Versteck. Dem perfekten Ort, um dort was, ja, was, zu verbergen?
    Das war die große Frage, über die er sich seit gestern Abend permanent das Hirn zermarterte, unterbrochen eigentlich nur von den wiederholten Versuchen, den Professor doch noch zu erreichen, ihn mit der Botschaft zu überraschen, dass er Teil eins und zwei seiner Aufgabe bereits gelöst hatte. Doch das Einzige, was er zu hören bekommen
hatte, war das ewig gleiche Sprüchlein: Finden Sie die Lösung, oder ich spreche kein Wort mehr mit Ihnen, wenn ich tot bin.
    Wenigstens schien jetzt Bewegung in die Warteschlange zu kommen. Bewegung? Im selben Augenblick begriff Amadeo, dass er einer kolossalen Fehleinschätzung erlegen war. Die Deutschen waren diszipliniert - solange kein Gepäck zu sehen war. Mit einem Pling! sprang das Laufband an. Es war, als hätte dieses Geräusch eine Art Schlüsselreiz ausgelöst. Von einer Sekunde zur anderen verwandelte sich die Wartehalle in ein Knäuel schwitzender, um sich keilender Leiber. Etwas rempelte Amadeo von rechts, doch er konnte nicht ausweichen, weil er den linken Fuß nicht freibekam. Er konnte nicht mal sagen, wer ihm gerade auf den Zehen stand. Eine ältere Dame, so breit wie hoch, der Amadeo gerade noch weltmännisch seinen Platz in der Warteschlange hatte anbieten wollen, pflügte durch die Menge, wobei sie einen Rollator vor sich herschob wie den Kuhfänger einer Wildwest-Lokomotive. Dazu ein Geschimpfe und Gebrüll: Sämtliche durch anderthalb Jahrtausende der Zivilisation mühsam übertünchten gotischen Gene der Eingeborenen, jetzt kamen sie zum Vorschein. Amadeo hatte gar keine Chance, dem Gedränge zu entkommen. Was sollte er tun? Sich mittragen lassen in einem Meer von Adrenalin, Schweißgeruch und billigem Aftershave, hoffen, dass es ihn irgendwann am Gepäckband ans Ufer spülte?
    Mit einem Mal war sein Fuß wieder frei, als ein älterer Herr im Lodenmantel sich beherzt nach vorn warf. Für eine Sekunde hatte Amadeo freien Blick auf das Laufband, wo die Rollatorin zwischen den Gepäckstücken kramte, die Wurstfinger nach einer tartangemusterten Reisetasche ausstreckte und alles beiseitezerrte, was ihr im Weg war. Da! Amadeos Koffer, dunkles Leder, der ihn schon aus den Marken
in die große,

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