Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
Vom Netzwerk:
fremde Stadt Rom und später nach Weimar begleitet hatte. Prustend schloss die Dicke die Finger um den Henkel ihrer Kilttasche, zerrte sie mit einem Ruck vom Band. Mit einem Poltern ging Amadeos Koffer zu Boden. Selbst auf diese Entfernung glaubte der Restaurator das Geräusch zu hören, mit dem die Schließen aufschnappten.
    Jeder Mensch hatte seine Grenzen, auch ein Amadeo Fanelli aus den Marken. Mit einem Mal sah er die Gestalten um sich herum an einen anderen Ort versetzt, auf die qualmenden Ruinen Roms vor tausendfünfhundert Jahren - die Dicke trug einen Helm mit kleinen Geierflügeln.
    Inmitten des Gewühls sog der Restaurator Luft in seine Lungen. »Das - ist - meiner!« , brüllte er aus Leibeskräften. Die Worte hallten in seinen Ohren wie der Kriegsschrei der Legionen. Mochten die germanischen Horden ihm sein Rom nehmen, vielleicht sogar seinen Koffer, aber niemals, niemals seine Ehre!
    Die Schweinsäuglein der Dicken blinzelten. Im selben Moment war Amadeo heran, packte den Koffer, an dem sich zum Glück nur eine einzige von drei Schließen geöffnet hatte, und schlug sich an den Rand der Menge durch, wo er sekundenlang keuchend innehielt. Den Zug. Nächstes Mal würde er den Zug nehmen. Vierundzwanzig Stunden Zeitverzögerung erschienen als geringes Opfer gegen das hier .
    Als er sich umdrehte, sah er, dass die letzten Mohikanerinnen noch immer um ihre Reisetäschchen kämpften, während der größte Teil der Passagiere bereits der Illusion eines zollfreien Einkaufs entgegenstrebte.
    Sein Blick blieb an einem Zeitungskiosk hängen. Reiselektüre brauchte er nun wirklich nicht, doch ein Ständer mit Sonderheften Todesgrippe - Wie SIE überleben zog ihn auf magische Weise an: nicht so sehr wegen der wenig distinguierten Schlagzeile, sondern aufgrund der graphischen
Gestaltung. Das T von Todesgrippe wurde nicht im selben Zeichensatz wie der Rest des Titels wiedergegeben, sondern besaß die Form eines Kruzifixes: der Heiland am Kreuz. Amadeo trat an den Verkaufsstand, nahm eines der Hefte in die Hand.
    »Die haben Ideen«, murmelte er.
    »Wollen Sie nicht überleben?«
    Er sah sich um. Ein Herr mit einem Kofferwägelchen und blonder, nein, weißer Mähne - er hatte im selben Flieger gesessen wie der Restaurator und in der Schlange ein paar Plätze vor ihm gestanden.
    Amadeo schüttelte den Kopf, wies auf das Titelblatt. »Das ist das Gerokreuz«, erklärte er. »Aus dem Kölner Dom. Mehr als zwei Meter hoch. Eines der ersten Großkruzifixe nördlich der Alpen - und das erste in Deutschland, das Christus nicht als Triumphator zeigt, sondern tatsächlich am Kreuze hängend als leidenden, gequälten Menschen, als …«
    Der Weißhaarige hing auch, nämlich mehr oder weniger auf Amadeos Schulter, als er neugierig auf das Heft spähte. »Respekt«, sagte er anerkennend. »Sie wissen Bescheid. - Ich denke, ich werd mir auch eins kaufen.«
    Amadeo schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zur Seite - vorsichtig, damit der Mann Gelegenheit hatte, sich wieder aufzurichten. »Nehmen Sie das hier«, sagte er. »Ich hab sowieso keine Zeit zum Lesen.«
    Er drückte dem Mann das Heft in die Hand und wandte sich ab.
    Wo war der Autoverleih? Er brauchte einen fahrbaren Untersatz.

Rom, Via Oddone
    Es war hell in Amadeos Büro, die Jalousien waren hochgezogen. Man hätte glauben können, der capo wäre nur kurz nach nebenan auf die Toilette verschwunden. Nicht einmal der Papierkorb war geleert worden.
    Rebecca behielt das im Gedächtnis. Den Papierkorb würde sie sich gleich vornehmen, doch zunächst ging sie hinter den Schreibtisch, ließ sich auf Amadeos Bürostuhl sinken. Genau diesen Blick hatte er bei der Arbeit gehabt, genau diese Perspektive. Sie waren beinahe gleich groß.
    Auf der linken Seite des Tisches stand eine Metallablage mit der Aufschrift to do . Sie war leer bis auf ein paar Staubflusen. Gegenüber, auf der rechten Seite, war das Pendant postiert: erledigt - sofort in die Post. In dieser Ablage befand sich ein Stapel von Briefen, die Amadeo gestern noch vorbereitet haben musste. Der Zeitpunkt für das »sofort« war offenbar noch nicht gekommen.
    Rebecca streckte die Hand aus, zog sie dann aber zurück. Das waren Interna der Restauratorenwerkstatt. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie nichts mit Amadeos Verschwinden zu tun haben konnten. Schließlich war dieser Posten schon erledigt - den überstürzten Aufbruch des capo würde er nicht erklären.
    Irgendetwas hatte Amadeo den ganzen Tag beschäftigt. Es war

Weitere Kostenlose Bücher