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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Richtung Ufer steuern konnte.
    Die Brücke. Nach und nach kam sie in Sicht, als das Boot dem Verlauf des Dammes folgte. Ein stählerner Bogen überspannte die vielleicht zwanzig Meter lange Konstruktion, und jenseits davon, noch unsichtbar hinter dem Bahndamm, lag Amadeos Ziel, die kleine Insel. Einsteins Koordinaten.
    Doch die Stimmung des Restaurators verdüsterte sich, je näher er der Durchfahrt kam. Der Durchlass war schmal, sehr viel schmaler, als er auf dem Satellitenbild ausgesehen hatte. Noch immer hielt Amadeo einen Kurs im Schutz des Damms, doch er hatte keine Chance, die Sturmkönigin aus
diesem Winkel durch die Lücke zwischen den Brückenpfeilern zu manövrieren. Unschlüssig drosselte er den Motor. Auf der Stelle war zu spüren, dass das Boot den Wellen nun eine sehr viel bessere Angriffsfläche bot. Der Restaurator legte sich ins Ruder, drehte den Bug in den Wind. Es blieb ihm nichts anderes übrig: Er musste den Winkel verändern, mit der Wucht des Sturms in seinem Rücken geradewegs in den Durchlass hinein, das war seine einzige Chance.
    Ein letztes Mal lenkte er die Sturmkönigin hinaus auf das freie Wasser und setzte zu einem Wendemanöver an, beschrieb einen weiten Halbkreis, für den er sich gezwungenermaßen aus dem Schutz des Dammes entfernen musste. Für einen Augenblick lag der Bootskiel quer zur Dünung. Jetzt, fast war es geschafft …
    Doch auf diesen Augenblick musste der Sturm gewartet haben. Ein Geräusch war plötzlich in der Luft, anschwellend wie die Turbinen eines startenden Düsenjets, nur gewaltiger noch, furchteinflößender: das wütende Brausen des Orkans, der unvermittelt zu voller Macht erwachte. Die Bäume zu beiden Seiten der Durchfahrt bogen sich, der Sturm riss die letzten Blätter von den Zweigen.
    Und gleichzeitig ein anderer Ton. Stimmen! Menschliche Stimmen, düster grollend wie ein Chor ertrunkener Seeleute: Vai pensiero sull’ali dorate …
    Und sie ertönten aus Amadeos Sporttasche. Sein Klingelton! Helmbrecht, das musste Helmbrecht …
    Mit einem Fluch fuhr Amadeo in die Höhe, warf sich mit seinem gesamten Gewicht ins Ruder, drückte es durch bis zum Anschlag. Aber das Handy … Nein, nicht jetzt. Wenn der Orkan die Sturmkönigin aus diesem Winkel erwischte …
    Eine unsichtbare Pranke fuhr auf den Restaurator nieder. Krampfhaft klammerte er sich ans Ruder, doch sein Griff war unsicher, das Holz feucht und rutschig von der
Gischt. Das Boot ruckte, als ein Brecher ungebremst gegen das Heck prallte. Die Tasche! Blitzartig griff Amadeo zu, doch seine Finger bekamen sie nicht zu fassen. Auf den feuchten Planken schlitterte sie nach vorn, prallte gegen die Innenseite der Bootswand, außerhalb seiner Reichweite … Im selben Moment hob eine neue Woge die Sturmkönigin. Die Tasche stoppte, dann ein Ruck, als das Boot in ein Wellental glitt. Wie ein lebendiges Wesen schien die Tasche in die Höhe zu federn, berührte kurz noch einmal die Reling …
    Ächzend ließ Amadeo das Ruder los, schnellte nach vorn. Seine Hand packte zu, schloss sich um den Griff - doch da war die Tasche bereits halb im Wasser. Verzweifelt versuchte er sie zurück an Bord zu ziehen, doch je wilder er zurrte und zerrte, desto stärker legte sich die Sturmkönigin auf die Seite. Schwarze Panik griff nach ihm, graues, aufgewühltes Wasser dicht vor seinen Augen.
    Mit einer letzten Anstrengung stemmte er die Füße gegen die Bordwand, warf sich nach hinten. Es war ein Gefühl, als würden ihm die Arme aus den Schultern gerissen, doch dann, auf einen Schlag, gaben die tosenden Wasser ihre Beute frei. Hart schlug sein Rücken auf die Ruderbank, die Tasche sackte auf seine Brust, vollgesogen mit Wasser, zentnerschwer, und trieb ihm den letzten Atem aus den Lungen.
    Mühsam blieb er bei Bewusstsein, kämpfte gegen den Schwindel, der nicht länger nur vom mutwilligen Spiel der Wellen rührte, sondern aus seinem Kopf kam, seiner Erschöpfung.
    Und dann, von einem Moment zum nächsten, war es vorbei. Die Wut des Orkans war verebbt. Amadeos Puls jagte, seine Augen brannten. Ächzend stützte er sich auf alle viere, kroch zurück ans Ruder und sank schwer atmend über dem Holz zusammen.

    Es war vorbei. Auch der Klingelton war verstummt, der Chor der Gefangenen aus Nabucco. Hatte der Professor aufgegeben, oder war das Wasser … Amadeo mochte an die Alternative nicht denken.
    Er durfte nicht, nicht in diesem Moment. In diesem Augenblick hatte er tatsächlich keine Zeit .
    Hektisch korrigierte er die

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