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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Restaurator an seinen Großonkel Adolpho denken musste. Zio Adolpho hatte auch eine ganz ähnliche Schrotflinte besessen wie der Unbekannte, nur der Hund … Der Fremde hielt ihn an einer Kette - nicht an einer Leine, sondern tatsächlich an einer Kette -, und er sah gefährlich aus, gefährlicher noch als sein Herr, der seine Waffe locker in der Hand hielt.
    »Ich wollte nur schauen, ob jemand da ist«, sagte Amadeo. »Ich will eigentlich nur durch zum …« Unter den misstrauischen
Blicken von Onkel Adolphos Wiedergänger öffnete er seine Sporttasche, suchte nach dem Screenshot, den er sich in der officina ausgedruckt hatte. »Ich will weiter zum Damm.«
    »Zum Bahndamm?« Der Mann klang noch keine Spur freundlicher. Den Kolben seiner Waffe stützte er in einer übertriebenen Pose auf die Hüfte.
    »Genau. Zum Bahn …« Amadeo brach ab. »Bahndamm?«
    Der Mann sagte etwas. Amadeo sah, wie sich seine Lippen bewegten, doch im selben Augenblick war ein Fauchen zu hören, ein Stampfen, ein Geräusch, das in Sekundenschnelle lauter wurde. Mit einem stummen Kläffen warf sich der Hund in seine Kette, doch sein Herr riss ihn mit roher Gewalt zurück. Hinter einer kahlen Baumreihe, zehn, fünfzehn Meter links von Amadeo raste donnernd eine Lokomotive durch, mehrere Passagierwaggons, so nahe, dass die Druckwelle an seiner Wetterjacke riss.
    Ein Bahndamm. Gleise. Er hatte sie schlicht nicht zur Kenntnis genommen.
    Als das Monstrum endlich vorbei war, hatte Amadeo ein Klingeln in den Ohren. Resigniert blickte er auf seinen Ausdruck, den er endlich zum Vorschein gebracht hatte.
    »Ich wollte zu der kleinen Insel«, sagte er schwach. »Kurz vor …« Er sah auf den Screenshot. »Kurz vor der Brücke.«
    »Zur Insel?« Herr und Hund starrten ihn an, weniger feindselig jetzt, eher wie einen Schwachsinnigen. »Dann nehmen Sie doch ein Boot.«
    »Ein Boot«, murmelte Amadeo. Sein Blick fiel auf das anderthalb Meter hohe Transparent über dem Metalltor des Bootsclubs. »Kann ich bei Ihnen eins mieten?«
    »Können Sie. - In der Saison. Saison ist von Mai bis Oktober.«
    »Ja?« Abwartend sah Amadeo ihn an.

    »Heute ist der dritte November.«
    Der Restaurator kniff die Augen zusammen. Er war fest davon überzeugt gewesen, es wäre noch Oktober. Eindeutig, dachte er. Ich arbeite zu viel. Doch im Moment ging es um Wichtigeres.
    »Können Sie nicht eine Ausnahme machen?«, fragte er vorsichtig, wobei er vielsagend auf die Manteltasche klopfte, in der sich seine Geldbörse verbarg. »Sie haben die Boote doch garantiert noch nicht für den Winter …«
    »Eine Ausnahme?« Der Mann schien endgültig zu der Ansicht gekommen zu sein, dass er einen Geistesgestörten vor sich hatte. Sein Kopf nickte Richtung Caputh. »Versuchen Sie’s im Dorf. Hier ist alles dicht bis dreißigsten April.«
     
    Amadeo entdeckte den Angler erst, als er den Landungssteg einen Steinwurf vom Caputher Fährhaus schon fast erreicht hatte. Die Erscheinung des Mannes war im selben schmuddeligen Graubraun gehalten wie die gesamte Gegend am Ufer des Schwielowsees an diesem Morgen. Reglos saß er am Rande des Stegs und blickte auf den See hinaus, wobei seine gummibestiefelten Beine über dem Wasser baumelten. War der Mann überhaupt ein Angler? Eine Angel war nirgends zu sehen.
    Der Restaurator trat auf die Bohlen, die unter seinen Füßen unheilverkündend knarrten. Er räusperte sich.
    Der Angler rührte sich nicht.
    »Kein schönes Wetter heute«, bemerkte Amadeo.
    Schweigen, keinerlei Regung. Ob der Fremde taub war? Dann hätte er zumindest die Vibrationen des Holzes unter seinem Allerwertesten spüren müssen.
    Ganz offensichtlich bestand kein Interesse an irgendwelchem Smalltalk. Und doch war der Mann das erste menschliche Wesen, das Amadeo zu sehen bekam, seitdem er mit
einer Fähre über die Havel gesetzt und das Dorf, Capuths trostloses Zentrum, betreten hatte. Zuerst hatte er es drüben versucht, am anderen Ufer, war von Pontius zu Pilatus gelaufen, von einem Bootsvermieter zum nächsten, hatte den doppelten Mietpreis geboten, seinen Reisepass als Kaution, sein hochheiliges Ehrenwort geleistet, dass sie ihr Gefährt heute noch zurückbekommen würden. Umsonst. Und mit jeder Minute verrann Zeit, die Amadeo nicht hatte. Angler oder kein Angler - der Mann war seine letzte Hoffnung.
    »Ist das schon länger so?«, erkundigte sich Amadeo. »Das Wetter? Sind Sie häufiger hier?«
    »Jeden Tag.« Diesmal kam die Antwort sofort.
    Amadeo atmete auf. Er war sich zwar

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