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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Fahrtrichtung, vollendete das Wendemanöver und scherte auf die Durchfahrt hin ein. Jetzt, Momente lang, war der Sturm sein Helfer, der ihn mit stetig zunehmender Gewalt in die immer schmaler werdende Fahrrinne drückte, bis die Strömung Besitz von dem Boot ergriff, es mit sich zog, in sich aufsog in den Durchlass hinein. Die Hände um das nun nutzlose Steuerruder gekrallt, überließ sich Amadeo der Macht der Elemente. Links und rechts schoss der Schaum an gemauerten Böschungen empor. Sogar ein stählernes Geländer gab es, genau wie weiter oben auf der Brücke selbst, wo …
    Amadeo traute seinen Augen nicht. Drei Knirpse, keiner von ihnen älter als zehn, mitten auf der Brücke. Sie hatten das Kinn auf das Geländer gelegt, klammerten sich fest, als eine neue Böe an ihren Jacken, ihren Haaren zerrte.
    » Maledetto! « Aus seiner Kehle kam ein heiseres Krächzen. »Der Sturm! Seid ihr des …« Über das Toben des Orkans hinweg hörte er ein anderes, ein unverkennbares Geräusch, einem Nebelhorn ähnlich: das Signal eines sich nähernden Zuges. Amadeo erstarrte, sein Herz überschlug sich. »Der Zug! Macht, dass ihr da wegkommt!«
    Doch die Jungen rührten sich nicht. Sie sahen Amadeo an, mit offenen Mündern.
    Der Wind trieb ihn weiter auf die Durchfahrt zu. Schon musste er den Kopf in den Nacken legen, um die Knirpse im Blick zu behalten.
    »Wir stehen auf dem Fußweg«, meldete sich der mittlere
der drei. »Der kommt am Campingplatz wieder raus, um den Zaun vom Bootsclub rum.« Wie auf ein Kommando beugten alle drei sich neugierig nach vorn. »Das sah richtig cool aus, was Sie da gerade gemacht haben draußen auf dem See. Können Sie das noch mal?«
    »Fußweg?« Amadeo blinzelte. Das war sein Glück. Nur deshalb landete die feuchte Ladung Spucke zwar in seinem Gesicht, nicht jedoch in seinen Augen.
    Eine Sekunde später war das Boot direkt unter der Konstruktion aus Eisen und Beton, und Amadeo hörte, wie die Rasselbande kichernd wegrannte. Im nächsten Moment stampften Tausende Tonnen von Stahl über die Brücke. Donnernd brach sich der Schall am Betonbett der Durchfahrt, schlug über Amadeo zusammen.
    Als er es wagte, sich aus seiner kauernden Haltung aufzurichten, befand sich die Sturmkönigin bereits auf der Wasserfläche des Petzinsees.
    Es war wie im Traum. Noch immer war alles grau um ihn her, doch hier, auf der anderen Seite des Bahndamms, war das Wasser trügerisch ruhig. Er hatte es geschafft, bis hierhin hatte er es geschafft und den schlimmsten Teil seiner unfreiwilligen und ganz und gar überflüssigen Bootsreise überstanden.
    Ein Fußweg. Er konnte es nicht fassen. Der Trampelpfad am Bootsclub!
    Aber der Wächter, Onkel Adolphos nachgeborener Zwillingsbruder … Amadeo hätte sich ohrfeigen können! Bahndamm? , hatte er gefragt, und der Mann hatte ihm geantwortet, doch genau in diesem Augenblick war eine Lokomotive vorbeigerauscht, genau wie gerade eben. Amadeo hatte sein eigenes Wort nicht verstehen können. Aber nicht dass er noch mal nachgefragt hätte! Oh, nein. Ich wollte zu der kleinen Insel. Er konnte dem Mann gar keinen Vorwurf machen:
Wenn man zu einer Insel wollte, war ein Boot kein übler Ratschlag.
    Mit dem Ärmel der Regenjacke wischte Amadeo sich die Stirn ab. Er war durchgeweicht bis auf die Knochen, nur dass er sich im Moment nicht sicher war, ob er überhaupt noch so etwas wie Knochen besaß. Alle Kraft schien seinen Körper verlassen zu haben.
    Die Grippe? Ha! Wozu brauchte Amadeo Fanelli aus den Marken eine Grippe? Er war ganz selbstständig in der Lage, sich den Tod zu holen. Völlig ohne fremde Hilfe.
    Dabei lag seine eigentliche Mission noch vor ihm. Mit wenig Hoffnung musterte er die Tasche, um die sich auf dem Schiffsboden eine schmutzig graue Pfütze gebildet hatte. Die beiden Frotteehandtücher aus dem Sportbedarf würden keine Hilfe mehr sein. Vielleicht war wenigstens die Thermoskanne mit Automatenkaffee ganz geblieben. Und sein Handy, Helmbrechts Anruf! Die Navigation, seine einzige Chance, die exakten Koordinaten zu finden! Im Moment fehlte ihm die Kraft, die Tasche auch nur zu öffnen, um nachzuschauen.
    Doch er riss sich zusammen, blickte sich um. An den Ufern konnte er Ferienhäuser ausmachen und weitere Landungsstege. Scharf nach links, an der Rückseite des Damms entlang, entdeckte er die mit Gestrüpp bewachsene kleine Insel. Nichts von dem Gesträuch dort konnte älter sein als einige wenige Jahre, ein paar Weiden, die hinter niedrigeren Büschen aufragten,

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