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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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hatte der alte Mann sich keineswegs schwächlich angehört, höchstens heiser. Und heiser war Helmbrecht, seit Amadeo ihn kannte. Wäre da nicht sein Traum gewesen …

    Unwillig schüttelte er den Kopf. Den ganzen Tag über hatte er kaum an diesen Traum gedacht. Er war mit einem Bootswrack quer über den Schwielowsee gefahren, hatte im jaucheartigen Wasser nach Einsteins Vermächtnis gesucht - warum kam die Erinnerung gerade jetzt zu ihm zurück?
    Weil dies die Stunde der Wahrheit war.
    Wenn Amadeo ganz und gar ehrlich zu sich selbst war, konnte er nur eines mit Bestimmtheit sagen: Helmbrecht war noch am Leben gewesen, als er seinen Brief abgeschickt hatte, doch beim Arbeitstempo der italienischen Zustellung war das mit Sicherheit Tage her. Amadeo verfluchte sich jetzt, dass er nicht auf den Poststempel geschaut hatte.
    Es half nichts. Jetzt war es zu spät.
    Wir haben keine Zeit mehr.
    Mit einem wortlosen Fluch drückte er gegen die schmiedeeiserne Tür in der Lebensbaumhecke: Sie war nur angelehnt. Finster lag der Garten des Hauses vor ihm. Was von der Straßenlaterne an Licht kam, schien nach wenigen Metern zu versickern. Schemenhaft konnte Amadeo hellere Trittsteine erkennen, Inseln, auf denen die Finsternis eine Spur weniger vollkommen war. Zwischen unsichtbaren Beeten wanden sie sich hin und her auf die Eingangstür des Einfamilienhauses zu, die nicht einmal eine Ahnung war.
    Amadeo war ein- oder zweimal hier gewesen während seiner Zeit in Weimar, doch für gewöhnlich hielt der Professor Beruf und Privatleben strikt getrennt. Manchmal schien es kaum vorstellbar, dass der alte Mann so etwas wie ein Privatleben überhaupt besitzen sollte. Seine Frau jedenfalls hatte Amadeo niemals kennengelernt. Nun, es gab für alles ein erstes Mal, dachte er, und gewöhnlich waren die Umstände nun beim besten Willen nicht zu nennen.
    Die Spur der Trittsteine endete. Gleich hier vorne musste die Treppe … Mit einem dumpfen Laut stieß Amadeos
Schienbein gegen die Granitkante. Er biss sich auf die Zunge. Jeder Mensch hatte heute einen Bewegungsmelder, nur der Professor nicht!
    Keckernd lachte irgendwo ein Vogel über sein Missgeschick. Amüsier dich nur, dachte Amadeo düster. Wo war nun die Treppe? Mit der Schuhspitze tastete er sich voran. Der Vogelruf wiederholte sich.
    Amadeo hielt inne, lauschte. Was war das für ein Vogel? Wie viele Vögel kannte er, die nachts riefen? Ein blecherner, ja, metallischer Laut, beinahe wie ein Ratschen oder …
    Eine Jalousie, ein Rollladen! Noch einmal wiederholte sich der Laut, und jetzt war Amadeo sich ganz sicher. Das Geräusch kam von links, wo eine Gruppe hoher Nadelbäume das Straßenlicht schluckte. Dort, auf der ruhigsten Seite des Hauses, hatte der Professor sein privates Arbeitszimmer. Hatte Helmbrecht eben den Rollladen heruntergelassen? Aber warum sollte er das mehrmals hintereinander tun?
    Und wenn das so war, hätte die Jalousie dann ja bis eben offen sein müssen. Gut, eines der Spezialgebiete des Professors war die finsterste Zeit des Mittelalters, doch seit wann arbeitete er deshalb im Dunkeln? Außerdem hatte sich das Geräusch nicht angehört, als wenn der Rollladen geschlossen wurde, sondern ganz im Gegenteil. Da war es schon wieder! Ein leiser, schabender Laut, wie er entstand, wenn jemand versuchte, die Lamellen von außen hochzuschieben, und dann, im nächsten Moment, das kurze metallische Rattern, mit dem sie wieder nach unten rasselten, zurück in Position.
    Amadeo hatte die Plünderer gesehen, die vermummten Gestalten, die durch die Straßen Weimars streunten wie Napoleons marodierendes Gesindel vor zweihundert Jahren. Die ruhige Siedlung am Stadtrand war voll mit Eigenheimen
wehrloser, womöglich kranker alter Menschen wie der Helmbrechts. Gut situierter, wehrloser, womöglich kranker alter Menschen obendrein.
    Ohne auch nur nachzudenken, hatte Amadeo bereits den ersten Schritt gemacht, weg von der Treppe und den undeutlichen Schatten der Gehwegplatten. Verräterisch knirschte Reif unter seinen Schuhsohlen, als er sich huschend auf die Bäume zubewegte.
    Seine einzige Orientierung waren die im Dunst verschwimmenden Lichter der Straßenlaternen, die über die Lebensbaumhecke ragten. Er versuchte sich ungefähr parallel zu ihnen zu halten. Die Tannen musste er passieren, sich dahinter rechts halten, auf den Steingarten zu, die Terrasse und Helmbrechts Arbeitszimmer. Tausend Möglichkeiten, sich die Knochen zu brechen.
    Amadeo zuckte zusammen, als ein vorstehender

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