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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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befand sich die Welt
in den Klauen einer neuen, unbekannten Krankheit. Einer Grippe.
    Die Krankheit aus Goethes und Einsteins Erzählung raubte den Menschen das Verständnis für die Sprache des anderen.
    Helmbrecht, einer der ersten Infizierten der neuen Grippe, hatte auf einmal Schwierigkeiten mit dem Sprechen.
    Amadeo suchte Halt an der Arbeitsfläche, tauschte einen Blick mit Rebecca. Sie nickte stumm. Offenbar hatte sie es im selben Moment begriffen wie er selbst.
    Möbius hatte den Restaurator und seine Partnerin stumm betrachtet. Mit zusammengebissenen Zähnen neigte er den Kopf. »Also habe ich recht«, sagte er leise. Sollte das eine Frage sein? Er schien auf eine Antwort zu warten.
    Amadeo konnte nicht antworten. Sein eigener Verstand hatte noch nicht ansatzweise verarbeitet, was mit einem Mal mit einer solchen Klarheit und Selbstverständlichkeit auf dem Tisch lag, dass er sich fragte, warum er nicht längst darauf gekommen war: die gottgesandte Seuche von Babel und die moderne Eastcoast-Grippe - es war ein und dieselbe Krankheit! Und die moderne Medizin war hilflos gegenüber einem jahrtausendealten Virus.
    Aber wie war das möglich? Wie war das denkbar? Die Seuche gab es wirklich ? Wie konnte sie ausgerechnet jetzt wieder ausbrechen, da Amadeo zuerst Einsteins Text und dann Goethes Gedicht in die Hand bekam?
    Wo war die Verbindung? Gab es eine Verbindung?
    »Wie verzweifelt muss ich eigentlich sein«, murmelte Möbius, »dass ich nach einem solchen Strohhalm greife? Ich habe nicht die Fantasie, mir auszumalen, wie Paläographen dazu beitragen sollten, mit dieser Heimsuchung fertigzuwerden. Ich weiß lediglich, dass wir - die Schulmedizin - uns in einer Sackgasse befinden mit dem Wissen, das wir hier
in Deutschland haben. Und die Informationen, die durchsickern aus den Vereinigten Staaten … Sie fragen nach der Sprache, Doktor Fanelli? Ob das das Endstadium ist? Ja, es gibt Anzeichen, dass die Krankheit bei ihrem Fortschreiten auf das Gehirn übergreift, und wie es aussieht, sind bestimmte Hirnareale bevorzugt betroffen.«
    Rebecca hob die Augenbrauen: »Eine gerichtete Enzephalitis?«
    Möbius betrachtete sie. Sein Blick hatte sich verändert. »Sie sind vom Fach?«
    »Ich weiß das eine oder andere über die Materie«, erwiderte Rebecca. »Und von einer Entzündung, die sich selbsttätig bestimmte Teile des Gehirns ausguckt, höre ich zum ersten Mal.«
    »Da sind Sie nicht allein«, brummte der Mediziner. »Und doch ist das das Bild, wie es sich uns darstellt nach den wenigen, bruchstückhaften Informationen: ein Erreger, der zunächst Symptome einer gewöhnlichen schweren Grippe verursacht und dann, in einem zweiten Schritt, bestimmte ausgewählte Hirnareale befällt. Glauben Sie mir, der Professor kann noch froh sein. - Oder auch nicht. In seinem Fall ist das Broca-Zentrum betroffen.« Er sah zu Amadeo. »Das Broca-Zentrum ist für die motorischen Anteile beim Sprechen zuständig, wenn Sie so wollen. Deshalb seine Probleme bei der Formulierung längerer Sätze. Andererseits versteht er jedes Wort - im Moment natürlich nicht, aber sobald er wieder bei sich ist. Broca-Patienten bekommen alles mit, was um sie herum geschieht. In den Vereinigten Staaten scheinen allerdings die wenigsten Fälle ausschließlich auf diese Broca-Variante beschränkt zu sein.«
    »Die Leute können gar nicht mehr sprechen?«
    Wieder schüttelte Möbius den Kopf. Langsam ließ er seine Hand an Helmbrechts Augen vorbeiwandern, und
Amadeo sah, dass die Pupillen des Professors reagierten. »Ein erheblicher Teil der Patienten spricht sogar sehr viel. Bei ihnen ist ein anderes Hirnareal sehr viel stärker betroffen: das Wernicke-Zentrum. Diese Patienten können ohne Probleme lange Sätze bilden. Grammatisch völlig korrekte Sätze und …« Sein Mundwinkel zuckte. »Sehr, sehr viele Sätze. Nur das, was sie reden, ist kaum verständlich - und umgekehrt haben sie größte Schwierigkeiten, zu begreifen, was man ihnen sagt. Und verstehen nicht, warum man sie nicht versteht.«
    »Vielleicht bin ich ja ganz normal, sprach der Hirtenhund«, murmelte Amadeo. »Vielleicht ist ja die Herde verrückt.«
    Möbius lächelte müde. »So ungefähr.«
    Und es wurde freigelassen die Seuche, auf dass den Menschen so ihre einerlei Sprache und einerlei Wort genommen werde. So zerstreute sie der HErr von Sinear in alle Länder, dass sie ablassen mussten davon, eine Stadt zu bauen.
    Eine durchdringende Kälte hatte von Amadeo Besitz ergriffen. Vor

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