Das Babylon-Virus
Tausenden von Jahren war die Krankheit Gottes über die Menschheit hereingebrochen und hatte das ehrgeizigste Projekt zum Erliegen gebracht, das die Spezies sich bis zu diesem Zeitpunkt auf die Fahnen geschrieben hatte. Und heute, in der globalisierten Welt, in der alles mit allem, jeder mit jedem vernetzt war? Selbst wenn es den Medizinern gelang, die Symptome zu behandeln, selbst wenn sie das Fieber in den Griff bekamen und die Krankheit nicht in allen Fällen zum Tode führte: Was würde es bedeuten, wenn sich die Menschen nicht mehr miteinander verständigen konnten, einige wenige vielleicht ausgenommen, die gegen das Virus immun waren?
Den vollständigen Zusammenbruch der Zivilisation, mindestens. Wenn nicht noch mehr, wenn nicht noch Schlimmeres.
Wenn nicht irgendjemand mit benebeltem Kopf in irgendeinem Atomkraftwerk oder an den Schaltkontrollen hochgezüchteter Waffensysteme den falschen Knopf drückte.
Die gesamte Welt, die gesamte Menschheit stand am Abgrund.
Rom, Via Oddone
Fabio Niccolosi schimpfte vor sich hin.
Er schimpfte leise, nicht einmal Zimmerlautstärke. Nur zwei Türen weiter, im Sekretum, war Gianna noch bei der Arbeit, und Fabio hatte heute bereits herausfinden müssen, dass er diese Frau völlig falsch eingeschätzt hatte.
Nein, Gianna war ganz und gar nicht wie sein capo , und es war ihr absolut gleichgültig, dass er heute Abend ein appuntamento mit Alyssa hatte. Gianna interessierte nur, dass Beppo Farnese eine Stunde vor Feierabend plötzlich angefangen hatte zu zittern und zu niesen und nach Hause gegangen war - der dritte Grippefall in der officina .
Zusammen mit dottore Fanelli fehlten damit vier Mann in der Werkstatt. Das aber werde die Kunden der Officina di Tomasi nicht interessieren, behauptete Gianna. Woher sie das so genau wusste, hatte sie nicht verraten. Stattdessen hatte sie allen, die das Pech gehabt hatten, sich zu diesem Zeitpunkt noch im Büro aufzuhalten, Sonderschichten aufgebrummt.
Normalerweise hätte Fabio es sogar richtig spannend gefunden, an einem eigenen Codex arbeiten zu dürfen; deshalb hatte er sich den Job schließlich ausgesucht. Aber nicht um neun Uhr abends! Nicht, wenn Alyssa auf ihn wartete und nicht ans Handy ging!
Er biss die Zähne zusammen und streifte ein Paar Handschuhe über, die aussahen wie aus dem OP. Vorsichtig griff er in eine kleine Wanne mit stinkenden Chemikalien, in der eine einzelne Pergamentseite eine Dreiviertelstunde lang gelegen hatte - keine Minute mehr, keine Minute weniger. Für ihn sah das Pergament genauso aus wie vorher, nur eben nass jetzt. Gianna würde wissen, warum das so wichtig war.
Während er das Blatt mit spitzen Fingern über die Wanne hielt, damit es abtropfen konnte, suchten seine Augen nach einem freien Platz, an dem er es zum Trocknen ablegen konnte. Neben Luigis Schreibtisch gab es große Matten aus einer Art Moosgummi, die dafür vorgesehen waren, doch Fabio hatte direkt an den Fenstern gearbeitet. Er hätte mit dem tropfenden Blatt quer durchs Büro gemusst.
Sein Blick fiel auf das Regalbrett oberhalb seiner Arbeitsfläche, das eigentlich als Ablage für Schriftstücke gedacht war. Im Moment stand dort nur ein Stiftebecher. Jede Menge Platz, und es war ja nur für eine Minute, bis er eine von den Matten geholt hatte. Dann konnte er das Blatt auf der Moosgummiunterlage rüber zu Luigis Tisch tragen.
Er wartete noch einen Moment, bis sich zwei Tropfen von den Ecken des Pergaments gelöst hatten. Jetzt! Mit Schwung beförderte er die Seite in Richtung Regal.
Fabio war erst seit ein paar Monaten in der officina , und er hatte mit diesem konkreten Regalbrett noch keine nähere Bekanntschaft geschlossen. Er wusste nicht, dass es nur locker auflag, damit man es mit einem einzigen Handgriff herausnehmen und Platz schaffen konnte, um großformatige Codices hochkant auf der Arbeitsfläche aufzustellen.
Als das feuchte Pergament das Brett berührte, hörte er ein leises, schabendes Geräusch. Sofort zog er die präparierte Seite zurück, doch genau das war sein Fehler. Der nasse Pergamentbogen
haftete an der Oberfläche. Im nächsten Augenblick sauste das Brett mitsamt dem Stiftebecher in die Tiefe, polterte auf die Arbeitsfläche, erwischte den Rand der Wanne mit der stinkenden Brühe, die wie eine Fontäne in die Höhe schoss.
Geistesgegenwärtig sprang Fabio zurück, das Pergament schützend an seinen Körper gedrückt. Er wagte nur noch durch den Mund zu atmen. Der Gestank!
Die Fenster über der
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