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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Arbeitsfläche durften nur im äußersten Notfall geöffnet werden - die konstanten einundzwanzig Komma sieben Grad in der officina waren wichtiger als alles andere. Doch das hier war ein Notfall.
    Fabio hielt den Atem an, hechtete auf die Fensterbank und riss mit aller Kraft am Hebel. Das Quietschen ging ihm durch Mark und Bein, doch der Alurahmen gehorchte, schwang auf.
    Keuchend sog der Junge die Luft ein. Bunte Farben tanzten vor seinen Augen, von den Chemikalien vielleicht oder vom Schock, er wusste es nicht. Er musste sich am Fensterrahmen festhalten, während er in raschen Zügen atmete.
    Drei Stockwerke unter ihm, auf der Via Oddone, waren noch ein paar Leute unterwegs. Ein alter Mann sah kurz zu ihm hoch, wandte den Blick aber sofort wieder ab, und eine junge Frau …
    Fabio blinzelte. Blonde Haare, halblang, ein langer Mantel, schwarz oder dunkelblau, aus Seide oder irgendeiner Kunstfaser, und die Art, wie sie …
    Die Frau ging schnell, in Richtung Park. Sie wandte ihm den Rücken zu, und sie sah sich nicht um, aber Fabio … Er kannte Alyssa! Er kannte doch die Frau, mit der er zusammen war!
    Krächzend versuchte er ihren Namen zu rufen, doch der Gestank der Lauge war überall, biss ihm in den Hals, in die
Augen. Nein, unmöglich. Er konnte ja nicht mal richtig sehen, und schon war die Frau verschwunden.
    Er musste sich getäuscht haben. Er musste …
    »Was zur …«
    Fabio fuhr herum.
    Gianna stand reglos im Flur, der zum Sekretum führte. Sie starrte ihn an.
    Nein, sie war ganz und gar nicht wie sein capo .

Weimar, Institut für Paläographie
    »Kaffee!«
    Helmbrecht klang noch immer heiser, doch das besaß als solches keinen Krankheitswert. Heiser klang er schließlich immer.
    Der Professor blickte nicht auf. Seine Augen hafteten auf dem vergilbten Papier mit Goethes Gedicht, das er in den zitternden Händen hielt.
    Dr. Möbius hatte sich vor etwa einer halben Stunde verabschiedet, mit Sicherheit noch nicht in den Feierabend. Zehn Minuten später war der Professor allmählich aus seinem Dämmerschlaf erwacht und hatte Amadeo ultimativ aufgefordert, Einsteins Geheimnis rauszurücken. Deshalb sei der Restaurator schließlich gekommen.
    Amadeo hatte gehorcht - und sei es nur aus Dankbarkeit, dass der Professor imstande war, das rüde Anliegen in einem vollständigen, syntaktisch korrekt formulierten Satz vorzubringen.
    Seitdem war Helmbrecht in den zweihundert Jahre alten Schnörkeln versunken, während Amadeo ihm berichtet hatte, wie er auf das Geheimnis der Neununddreißig gekommen war. Er hatte nicht den Eindruck, dass der komplizierte
Lösungsweg den Professor überhaupt sonderlich interessierte. Für den alten Mann zählte nur Goethes Text, in dem er jetzt zurück an den Anfang blätterte. Er musste ihn bereits von vorn bis hinten durchgelesen haben, in einer Geschwindigkeit, die sich Amadeo vielleicht bei der Lektüre der Tageszeitung zugetraut hätte.
    »Ich spreche jetzt deutlich, oder?« Für einen Moment blickte Helmbrecht nun doch auf. »Rebecca!« Wie zufällig fiel sein Blick auf Amadeos Partnerin. »Jedes Mal, wenn ich Sie sehe, sind Sie noch eine Spur hübscher geworden. Würden Sie einem alten Mann wohl eine Tasse Kaffee holen?« Amadeo sah, wie sie den Mund öffnete, doch Helmbrecht ließ sie nicht zu Wort kommen. »Nein, nein, was denken Sie von mir? Ich würde Sie doch niemals vor die Tür jagen in die große, dunkle, feindselige Welt unter diesen Umständen! Wir haben selbst-ver-ständ-lich was im Haus! Die Küche ist ganz hinten rechts, am Ende des Flurs. - Nehmen Sie eine Taschenlampe mit. Die Küchenleuchte hab ich hier gebraucht. - Und denken Sie an den Zucker, bitte?«
    Rebecca warf ihm einen Blick zu, der kein Wort nötig hatte, aber sie nickte knapp und verschwand.
    Der Professor sah ihr nach. »Nennen Sie mich uncharmant«, murmelte er, »aber lahmt Ihre Gefährtin nicht irgendwie? - Sie ist mir doch nicht böse?«, wandte er sich an Amadeo. »Dass ich sie rausgeschickt habe? Ich wollte einen Moment mit Ihnen allein sprechen.«
    Amadeo hob die Schultern. Selbst er hatte das durchschaut. Rebecca war es mit Sicherheit nicht entgangen.
    Helmbrecht schwieg. Amadeo wusste, dass das unmöglich war, doch er glaubte sehen zu können, wie der alte Mann die Ohren spitzte, als er Rebeccas Schritten nachhorchte, die sich den Flur hinab entfernten. Als ob sich seine Ohrmuscheln eine Winzigkeit einrollten.

    »Sie haben es also begriffen?«, flüsterte der Professor hastig. »Sie sind

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