Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
Vom Netzwerk:
…?«
    »Nase!«, knurrte Amadeo, während Rebecca suchend an den Tisch trat. »Was haben Sie denn? Steht das kühle doch nicht da?«
    »Wenn ich Wörter sehe, die nicht da sind, können Sie mich begraben«, brummte der alte Mann. »Lupe?«
    Rebecca drückte ihm das Vergrößerungsglas in die Hand.
    »Ist irgendwie verschmiert«, murmelte Helmbrecht.

    Seine Brille ist verschmiert, dachte Amadeo, doch er hielt den Mund.
    »Schau an«, sagte der Professor leise. »Schau an. Der Kringel.«
    »Kringel?«
    »Kringel.« Helmbrecht blickte auf. »Ein kleines gerolltes Kringelchen wie das Schwänzchen von einem Schweinchen.«
    »Schweinchen?«
    »Keins da!« Der Professor stützte sich ab, kam in die Höhe und trat mit den Blättern an die Arbeitsfläche. »Kein Schweinchen, kein Schwänzchen, kein Kringelchen. Und kein Gottch … Lassen wir das. Hier!« Die Spitze seines knotigen Zeigefingers bohrte sich in die Handschrift wie ein Dartpfeil. »Das ist kein o!«
    Amadeo und Rebecca beugten sich über den Text, links und rechts an der klapprigen Gestalt des alten Mannes vorbei.
    Rebecca schüttelte den Kopf. »Die meisten anderen Buchstaben kann ich nicht erkennen, aber das o sieht für mich eindeutig aus.«
    »Amadeo?« Helmbrechts Blick löste sich nicht vom Manuskript. Er streckte dem Restaurator die Lupe entgegen.
    Amadeo nahm sie und spähte hindurch. Da war Helmbrechts Fingernagel - er sah angeknabbert aus. Da das Wort, auf das er deutete. Ein verschnörkeltes G, dahinter das o. Mit einem Kringel.
    »Er sitzt in der Mitte«, sagte Amadeo zögernd. »Das o in der Zeile darüber hat er anders geschrieben. Da ist der Kringel oben rechts.«
    »Das Untere ist kein o«, widersprach der Professor. »Weil es kein Kringel ist. Strengen Sie Ihr Adlerauge an!«
    »Das …« Der Restaurator war sich noch immer nicht sicher.
Die verblassten Linien der Schrift schienen vor seinen Augen zu verschwimmen. Kein Kringel? Nein. Goethe hatte die Schreibfeder abgesetzt und den Kringel, der angeblich ein Kringel war, nachträglich eingezeichnet. Es war …
    »Ein Dreiviertelkreis«, sagte er leise.
    »Ja?« Aus der Stimme des Professors sprach Selbstzufriedenheit. »Ein Dreiviertelkreis - und was gehört noch dazu?«
    »Das vierte Viertel?«, schlug Rebecca vor.
    »Nein!«, japste Amadeo. »Eine waagerechte Linie, und die steht schon da! Die obere Rundung des o! - Das kein o ist! So konnte man damals ein ö schreiben! Ein o, das am höchsten Punkt von einem kleinen e geschnitten wird!«
    »Sehen Sie?« Der Professor zog seinen Finger weg.
    »Dann steht dort nicht Gottes , sondern Göttes ?«
    »Vergleichen Sie!«, forderte Helmbrecht ihn auf. »Eine Zeile weiter oben, dasselbe Wort - oder etwa nicht?«
    Amadeos Pupillen huschten zwischen den beiden Zeilen hin und her: Gottes Erben Sitze und G ottes - oder G öttes - Sohnes kühle Gruft . Das verschnörkelte G war identisch, das o durch ö ersetzt. Dann das erste t. Identisch. Das zweite t … Amadeo stutzte. Goethe hatte die beiden t-Buchstaben jeweils auseinandergeschrieben, doch hier, beim zweiten t in der unteren Zeile stand der t-Strich seltsam schräg, fast wie ein Häkchen oder …
    »Das ist kein t«, flüsterte er. »Das ist ein h! Ein altes deutsches h!«
    »Der Kandidat hat hundert Punkte! - Ich denke, das muss gefeiert werden. Mit einem Kaffee vielleicht?«
    »Dann steht da nicht Gottes?«, fragte Rebecca. »Dann steht da Göthes? - Oder, nein, Goethes, mit einem o und einem kleinen e! Sein eigener Name!«
    »Sein eigener Name!« Helmbrecht grunzte bestätigend. »Und - ergo - sein eigener Sohn!«

    »Goethe hatte einen Sohn?«
    »Der ihm weder viel Freude machte«, bestätigte der Professor, »noch ihn überlebte. Und der begraben wurde, nicht etwa wie der Sohn Gottes in Jerusalem, sondern …«
    »In Rom!« Amadeos Stimme war kaum hörbar. »Auf dem cimitero acattolico , dem Protestantischen Friedhof! Einen Steinwurf von der Porta San Paolo und der Officina di Tomasi !«

Tag drei
    Ockergelber Fels umgab Amadeo, schroff und unregelmäßig. Das Licht war unbestimmt, die Schatten trügerisch. Jeder Schritt konnte den Tod bedeuten.
    Doch er hatte keine Zeit mehr , keine Zeit, auf seine Schritte zu achten. Sein Atem ging gehetzt, seine Füße trommelten über den Felsboden. Die Verfolger waren dicht hinter ihm, er spürte ihre Anwesenheit. Sie hatten seine Spur nicht verloren an der Pforte.
    Sie müssen den Schlüssel finden . Die Worte des Professors. Amadeo konnte sich nicht

Weitere Kostenlose Bücher