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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Bedrohung durch den Jeansmann schwebte weiter über ihnen - wenn es diese Bedrohung wirklich gab. Es konnte noch immer ein Zufall gewesen sein, ein merkwürdiger, verunsichernder Zufall.
    »Gut.« Amadeo nickte. »Also der Text. Wenn wir einmal annehmen, dass diese Texte tatsächlich mehr sind als ein Gelehrtenspiel, dass sie ein Wissen überliefern, das Wissen um ein Heilmittel gegen die Grippe, die Seuche, die Pestilenz oder was auch immer … Dann müsste es doch einen Hinweis geben. Goethes Text müsste an bestimmten Stellen detaillierter sein als der von Einstein.«
    »Exakt, mein Lieber.« Helmbrecht kniff die Augen zusammen. »Haben Sie meine Brille gesehen?«
    »Dort, wo sie hingehört«, bemerkte Rebecca. »Auf Ihrer Nase.«
    Der Professor tastete nach dem Bügel, grunzte zufrieden, während er im Goethe-Text vorblätterte. »Hier«, murmelte er und deutete auf eine Stelle auf der letzten Seite.
    So erreicht in letzter Stunde
der verstreuten Menschen Wohnung
ihrer Rettung frohe Kunde:
Gottes Gabe der Verschonung.
Doch nach kurzem Fristen
sorgt man sich um Trug
und entführt mit Listen
jener Heilung Krug.
    »Voilà, der Beweis.« Der alte Mann ließ die Blätter sinken. »Ein Krug. Einstein spricht von einem abstrakten Gefäß, bei
Goethe ist es etwas Konkretes: ein Krug. Goethe ist präziser, denn Goethes Text ist der ältere, näher dran am Original - wie auch immer das Original aussah und wann es entstanden ist. Ein typisches Bild, wenn Sie mit alten Überlieferungen zu tun haben: Der eine schreibt vom anderen ab, und mit jeder neuen Version wird die Wahrheit verschwommener, undeutlicher. Besonders natürlich dann, wenn derjenige, der den späteren Text verfasst, gar nicht mehr weiß, auf welche Wahrheit es eigentlich ankommt, weil er das Ganze für ein neckisches Spielchen hält. Wenn dann noch was durchschimmert, können wir von Glück sagen.«
    »Und hier schimmert was«, stimmte Amadeo ihm zu.
    »Und nicht nur hier«, bestätigte der Professor. »Goethe ist präziser in Bezug auf den Krug, und, was viel wichtiger ist: Er ist auch präziser bei der Route, an deren Ende sich unser Heilmittel verbirgt.«
    Zu den Bergen
gegen Morgen
voll der Sorgen
durch die Pforte
zieh’n sie, winzig klein gleich Zwergen,
bergen ihn an diesem Orte.
    »Das Heilmittel?«, fragte Rebecca. »Oder doch wieder nur ein neues Versteck? Die Stelle, an der Goethe den Text seines Vorgängers versteckt hat.«
    »Heilmittel«, sagte Helmbrecht überzeugt. »Schauen Sie hier, in Goethes Nachsatz: Der Adressat soll nach seinem Gutdünken verfahren, so es ihm gelingen sollte, sich einen Reim darauf zu machen. Einen Reim muss man sich nur auf etwas machen, das nicht offen ausgeschrieben ist. Die Berge im Osten und die Pforte werden offen genannt.«

    »Ein Pass vermutlich«, sagte Rebecca. »Unmittelbar östlich an die mesopotamische Tiefebene grenzt das iranische Hochland. Nicht gerade eine nette Urlaubsgegend.«
    »Möglich.« Der Professor nickte. »Aber im Shell-Atlas werden Sie mit solchen Angaben nichts finden. Die Pforte, die Berge im Osten, sind nicht mehr als eine ferne Erinnerung an eine Route, die im Originaltext mit Sicherheit sehr viel ausführlicher beschrieben worden ist. Egal, worauf wir noch stoßen, das müssen wir im Hinterkopf behalten. Einzig aus diesem Grunde existiert dieses gesamte Spiel, und nur das ist am Ende wichtig für uns: der Weg zu dem fernen Ort in den Bergen, der Weg zum Heilmittel. Der sollte überliefert werden. Nur dass diese Einsicht offenbar verschüttgegangen ist zwischendrin, bei den Geistern, den großen. Aber …« Aufmerksamkeit heischend hob er den Zeigefinger. »Mit jedem neuen Text wird die Route deutlicher werden. Also mit jedem älteren Text natürlich - wir bewegen uns ja rückwärts in der Zeit. Und um den nächsten Text zu finden - Goethes Vorlage von seinem hochgeistigen Vorgänger -, müssen wir seinen Code knacken, und dazu müssen wir feststellen, was er nicht offen ausgesprochen hat.«
    »Der größte Geist in der Generation vor Goethe«, murmelte Rebecca. »Wer wäre das? Newton?«
    Helmbrecht hob die Schultern. »Unsere Perspektive und diejenige der Zeitgenossen müssen nicht identisch sein. Es könnte Newton sein, Lichtenberg, Kant oder Benjamin Franklin - oder Graf Cagliostro mit seinem Stein der Weisen. Streng genommen wissen wir nicht einmal, ob wir wirklich nur eine Generation zurückgehen müssen oder womöglich mehrere. Der Text, der schließlich bei Goethe

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