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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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erinnern, was danach geschehen war, doch er war sich sicher, dass er die Pforte durchschritten hatte und, ja, noch eine zweite.
    Sein Blick war auf den Boden geheftet, auf die Wände, die im Rausch der Bewegung schemenhaft vorbeihuschten: Felsgestein, höchstens oberflächlich geglättet. Die Kleinigkeiten. Er musste die Kleinigkeiten im Auge behalten und er durfte nicht langsamer werden dabei, nicht für einen Augenblick. Sie waren ganz in der Nähe, in der Dunkelheit, die bedrohlich nach seinen Fersen griff.
    Der asymmetrisch geformte Gang verbreiterte sich, öffnete sich in eine Höhlung, deren Dimensionen er nicht abzuschätzen vermochte. Überall war Licht und nirgends; die Wände schienen aus sich selbst heraus zu leuchten wie überall in der fremdartigen Tiefe. Ein Leuchten, das ungleichmäßig war: Es gab Bereiche, die beinahe im Dunkeln lagen, und andere, an denen die Helligkeit ausgeprägter schien,
als ob rötlich glühende Lava dicht unter der Oberfläche lauerte.
    War die Felsenhalle leer? Oder war sie angefüllt mit geisterhaften Gestalten, die in Gruppen beieinanderstanden, sich mit langsamen Schritten hin und her bewegten? Ein Flüstern und Murmeln erfüllte die Wölbung.
    Amadeo spürte einen Widerwillen, die Halle zu betreten, doch sie waren hinter ihm, rückten näher mit jedem Schritt. Er rannte weiter, ohne abzubremsen. Genau gegenüber, in einem schattendunklen Abschnitt des Gesteins: ein sorgfältig behauener Torbogen. Eine neue Pforte.
    Amadeo hatte die Höhle zur Hälfte durchquert, als er die Hand sah. Woher sie gekommen war, konnte er nicht sagen. Sie war ein heller Fleck vor den Schatten des Wandabschnitts. Eine Hand, eine menschliche Hand, mehr nicht, körperlos, doch nicht ohne Willen: Sie schrieb . Mit ausgestrecktem Zeigefinger vollführte sie im Halbdunkel komplizierte Bewegungen, und wo der Finger die Wand berührte, wurden gleißende Bahnen aus Licht sichtbar, die geschwungenen Linien einer fremdartigen Schrift.
    Ich kenne das, schoss es Amadeo durch den Kopf. Er kannte die Form der Buchstaben! Er hatte sie gesehen, vor ganz kurzer Zeit erst, vor … Er zögerte.
    Nein. Nein, er zögerte nicht. Er schwankte, Schwindel griff nach ihm.
    Seine Füße! Der Boden unter seinen Füßen war verschwunden! Seine Schuhe, die Beine bis hinauf zu den Knien versanken in Schwärze. Doch er fiel nicht, nein. Es war Schwärze, die sich bewegte ! Schwärze, die Geräusche von sich gab! Ein glänzendes, schwarzes, ein chaotisches Gewimmel, ein Meer von …
    Mit einem Keuchen fuhr Amadeo auf.
    Sein Mund war trocken wie der Boden der Wüste, der
Puls jagte in seinen Ohren. Übelkeit … ein Dröhnen war in seinem Kopf.
    Ein Traum!
    Sein Atem ging in heftigen Stößen. Eine Fortsetzung seines verrückten Traums aus der officina !
    Für ein paar Minuten hatte er die Augen schließen wollen auf der letzten Raststätte vor dem Berliner Ring, während Rebecca kurz verschwunden war, um sich frisch zu machen. Vermutlich wechselte sie ihren Verband.
    Als Amadeo hinüber zum Restaurant blickte, war sie schon auf dem Rückweg. Ihre Verletzung war ihr im Moment nicht anzumerken.
    »Irgendwie siehst du blass aus«, bemerkte sie, als sie sich vorsichtig auf den Beifahrersitz gleiten ließ und nach einem Taschentuch griff. »Bist du dir sicher, dass du immun bist gegen die Grippe?«
    Amadeo schüttelte den Kopf. Er mochte jetzt nicht über seinen Traum reden. Später vielleicht, wenn er selbst sich klar geworden war, was er gesehen hatte. Er murmelte etwas über die ungewohnte Frischluft hier draußen auf dem Lande. Rebecca hob zweifelnd eine Augenbraue, doch ihre Worte konnte er nicht verstehen: Im selben Moment stampfte ein Vierzehntonner an ihnen vorbei und stieß Abgase aus, die zum Husten reizten.
    Sie waren vielleicht zehn Minuten unterwegs, als Rebecca schon wieder eingeschlafen war. Amadeo wusste, dass sie noch mit den Nachwirkungen des Jetlags zu kämpfen hatte - von allem Übrigen mal abgesehen.
    Sollte sie schlafen, solange Zeit dazu war. Er selbst hatte inzwischen fast Angst vor dem nächsten Schläfchen. Wieder war er im entscheidenden Moment aufgewacht, eben als er im Begriff gewesen war, das jenseitige Ende der großen Höhle zu erreichen und sich wiedergefunden hatte in
einem … Er durchforschte seine Erinnerung. Schwärze, Bewegung in der Schwärze, schimmernd, bösartig schillernd. Doch was es gewesen war …
    Öl?, dachte er. Der Boden des südlichen Mesopotamien war durchtränkt mit petra oleum .

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