Das Babylon-Virus
schließlich hatte ich ganz auf Sie gesetzt. Schau an …« Ganz kurz drehte er das Handy in Görlitz’ Richtung, doch der war unfähig, etwas zu erkennen. Ihm war schwindlig, bunte Flecken vor seinen Augen.
»Gewagte Bilder, die Ihr lieber Freund da auf seinem Mobiltelefon lagert. Illustrationen aus dem Rokoko, tippe ich mal. Aber interessanter sind natürlich …« Ein letztes Klicken. »Das ist eine Nachricht von Rebecca , sehe ich gerade: Ich bin in Weimar. Wo steckst du? - PS: Ich dich auch. Allerliebst, nicht wahr? Eine hochinteressante Frau, diese Rebecca Steinmann. Eine Frau, die man im Auge behalten sollte, denken Sie nicht auch?«
Verholen schien tatsächlich auf eine Antwort zu warten. Görlitz bekam nicht mehr zustande als ein ruckartiges Nicken.
»Wie gut, dass wir nun ihre Nummer haben. Doch ich denke, ich werde sie nicht einfach anrufen. Es genügt, wenn wir aus der Ferne bewundernd ihre Schritte verfolgen. Für die technischen Details … Nun, wir haben unsere Fachleute.«
Handyortung. Görlitz’ Schädel schwirrte. Doch Fanellis Hure war selbst beim Geheimdienst. Wusste der Blonde das nicht? Doch, natürlich wusste er das. Und es gab keine Sicherung, die so sicher war, dass sie sich nicht umgehen ließ, wenn man die richtigen Leute hatte.
Fanelli und seine Hure selbst würden ihn an sein Ziel führen, wenn das Depot aus Goethes Sohnes Grab noch nicht das Ziel war. Verholen würde ihnen auf der Spur sein, und er musste dazu keinerlei Risiko eingehen. Keine Gefahr, dass die Verfolger entdeckt wurden. Fanelli würde sich in Sicherheit wiegen. Selbst wenn er bemerkt hatte, dass er verfolgt worden war - er würde es verdrängen, vergessen. Und wenn er es am wenigsten erwartete, würde der Blonde zuschlagen.
Und Görlitz?
Er spürte den Blick seines Auftraggebers auf sich. Verholen lernte. Aus seinem Blick sprach eine Intelligenz, die Görlitz den Magen umdrehte. Ein einziges Mal hatte der Blonde auf nur eine Karte - auf Görlitz - gesetzt, und er hatte verloren.
Diesen Fehler würde er nicht wiederholen. Ein Plan B für den Fall, dass Fanelli scheiterte.
So lange würde Görlitz am Leben bleiben.
Und keine Stunde länger.
Rom, Parco della Resistenza
Amadeo ließ Rebecca das Tempo bestimmen. Es musste das pure Adrenalin gewesen sein, das ihr Kraft gegeben hatte - bis es ihnen gelungen war, am westlichsten Punkt des Friedhofs das Gelände zu verlassen. Die Mauer war nur etwas über mannshoch an dieser Stelle und stammte auch nicht aus Kaiser Aurelians Zeiten. Obendrein war sie sehr unschön
mit Graffiti beschmiert, und der westlichste Punkt des cimitero bezeichnete gleichzeitig denjenigen Punkt, der von der officina am weitesten entfernt war. Doch sie hatten es geschafft.
Mit langsamen Schritten waren sie der Straße zu Füßen der Befestigung gefolgt, bis zur Cestius-Pyramide, der Porta San Paolo. Von den Streifenwagen war nichts mehr zu sehen, und wenn noch geschossen wurde, wurden die Geräusche übertönt vom Verkehrslärm.
Automatisch wollte Amadeo den Weg um den Park herum einschlagen, doch mit einem stummen Nicken deutete Rebecca auf den kiesbestreuten Pfad mitten hindurch. Es war unübersehbar, dass ihr Bein ihr Schwierigkeiten machte, und immer wieder wischte sie sich mit dem Jackenärmel übers Gesicht. Schweiß lag auf ihrer Stirn, und ihre Nase war wundgescheuert, das sah Amadeo selbst im matten Laternenlicht.
Wohin auch immer ihn das Brevier aus Goethes Sohnes Grab führen würde: Er schwor sich, dass er sich allein dorthin auf den Weg machen würde, und wenn er Rebecca vorher betäuben musste. Sie war nicht in der Verfassung für irgendwelche Abenteuer. Er musste versuchen, mit Duarte Kontakt aufzunehmen. Ihre Freunde im Vatikan konnten unter Garantie …
»Ich könnte schwören, wir haben das Licht ausgemacht.«
Amadeo blinzelte, folgte Rebeccas Blick. Durch kahles Geäst waren die Lichter an der Via Oddone deutlich zu erkennen, das Gebäude mit der officina , dahinter die Mietshäuser auf beiden Straßenseiten.
Sämtliche Fenster des Bürogebäudes hätten dunkel sein müssen um diese Uhrzeit. In keinem der Unternehmen, die dort untergebracht waren, gab es eine Nachtschicht. Und doch war ein einzelnes Fenster erhellt. Ein Fenster in der fünften Etage.
»Das ist mein Büro!«, keuchte Amadeo.
»Ich könnte schwören …«
Amadeo schüttelte den Kopf. »Das Licht war aus. Die Tür erkennt meinen Schlüssel. Sobald ich rausgehe, wird alles deaktiviert - und bleibt auch
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