Das Babylon-Virus
doch andererseits war Fabio selbst schuld. Wer Alyssa wirklich war, hatte er nicht ahnen können, aber dass fremde Damen nichts in der officina zu suchen hatten, und nach Dienstschluss schon gar nicht, das hätte ihm klar sein müssen. Eine ganz gute Lektion vielleicht, dachte Amadeo zerstreut. Vielleicht hielt der Junge seine Hormone das nächste Mal besser unter Kontrolle, wenn er erst wieder einen klaren Kopf hatte.
Amadeo selbst hätte in diesem Moment nicht weiter entfernt sein können von einem klaren Kopf.
»Hinweise?« Seine Stimme kam mit einem merkwürdigen Blubbern, das ihm selbst unangenehm in den Ohren klang. »Sie haben Hinweise ? Die ganze Zeit haben Sie Hinweise, wo das Heilmittel liegt? Dass es in Afghanistan liegt? Hinweise woher? Hinweise von wem?«
»Wir haben Hinweise.« Alyssa betrachtete ihre Fingernägel. »Und mehr werden Sie nicht erfahren. Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie meine Schwester.«
Amadeos Blick ging zu seiner Partnerin, der es gelungen war, sich aus ihrem Stuhl aufzurichten.
»Sie wird dir nichts verraten.« Unverwandt betrachtete Rebecca die Frau am Fenster. »Nicht, wenn sie wenigstens ein bisschen was gelernt hat.«
»Gelernt?«
Rebecca schüttelte den Kopf. »Afghanistan«, wandte sie sich an Alyssa. »Dort bist du eingesetzt, richtig? Ihr wollt das Heilmittel - und wir sollen euch helfen, es zu finden. Euch den Weg zeigen. Ich denke, das geht in Ordnung.«
Amadeo gab ein keuchendes Geräusch von sich.
»Nicht?« Rebecca sah ihn an, als ob sie einander höchstens flüchtig kannten.
Amadeo rang nach Luft. Ihm war klar, dass Rebecca in einer eigenen Welt lebte und dass diese Welt weit mehr mit der Welt ihrer Schwester zu tun hatte als mit seiner eigenen. Doch das änderte nichts an den Gesetzen, die der schiere gesunde Menschenverstand diktierte!
»Dieser Frau willst du das Heilmittel ausliefern? Diese … diese …« Er schüttelte den Kopf. Ihm lag einiges auf der Zunge, doch immerhin war Alyssa mit im Raum. » Sie hat Hinweise, weigert sich aber, uns zu verraten, was das für Hinweise sind. Sie weiß die ganze Zeit, was das für eine Seuche ist! Ihr ganzer Verein weiß das! Und was weiß die Welt? Nichts! «
Rebecca nickte. »Damit haben sie die einzig richtige Entscheidung getroffen.«
Amadeo starrte sie an. »Du …«, flüsterte er. »Du hättest das auch so gemacht?«
»Exakt genau so.« Sie wich seinem Blick nicht aus. »Was glaubst du wohl, was passieren würde, wenn man der Öffentlichkeit mitteilt, dass da nicht einfach nur ein neuer, etwas fieserer Grippevirus unterwegs ist, sondern eine der sieben Plagen Ägyptens? Hast du nicht gesehen, wie das in Weimar jetzt schon …«
»Die sieben Plagen haben gar nichts damit zu tun«, unterbrach Amadeo sie reflexartig. »Das war Jahrhunderte später nach biblischer Überlieferung.«
»Und genauso unheimlich«, ergänzte Rebecca. »Die Leute würden durchdrehen. So richtig durchdrehen. Die Grippe könnten wir uns da glatt schon schenken. Oder würdest du noch’ne Münze in den Parkautomaten werfen, wenn Gott die Menschheit sowieso gerade vernichten will?«
»Ich …« Amadeo brach ab, schüttelte den Kopf. »Aber sie … Schau dir Fabio an! Ich weiß nicht, was sie damals getrieben hat, bei euch in Südamerika. Mir reicht schon völlig aus, was sie mit dem Jungen angestellt hat! Haben wir irgendeine Garantie, was die überhaupt vorhaben mit dem Heilmittel? Ob sie das rausrücken für die Allgemeinheit?«
»Die Garantie werden wir bekommen«, sagte Rebecca. »Weil ich die liebe Ally nämlich nach Afghanistan begleiten und persönlich darauf achten werde.«
Alyssa starrte sie an. Von einem Augenblick zum anderen war nichts mehr zu sehen von ihrer Maske. Auf dem Gesicht der blonden Frau stand nichts als pure, unverstellte Verblüffung.
»Das ist unsere Bedingung«, stellte Rebecca fest.
Minuten später war es Amadeo noch immer nicht gelungen, sich mit Rebeccas Vorhaben anzufreunden. Was seinen Widerspruch schließlich zum Verstummen gebracht hatte, war der schiere Mangel einer Alternative. Wenn sich das verzweifelt gesuchte Heilmittel tatsächlich irgendwo im Norden Afghanistans befand, würden sie gezwungen sein, mit den Leuten zusammenzuarbeiten, die dort im Augenblick die einzige wirkliche Ordnungsmacht darstellten: Alyssas Brötchengeber, die von den Deutschen angeführte ISAF-Verwaltung.
Und schließlich und endlich, was hatte er sich vorgestellt? Die ganze Welt konnte er schlecht mit seinem
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