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Das Band der Magie

Das Band der Magie

Titel: Das Band der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Mars
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eigentlich nur aus festgefahrener Erde und ziemlich tiefen Schlaglöchern. Ich wusste aber, dass sie immer breiter und befestigter wurde, je näher sie zur Stadt führte.
    Ich trottete etwa eine halbe Stunde vor mich hin, dann spuckte die Straße mich raus auf offenes Gelände. Der Wald hörte so abrupt auf, als sei hier eine unsichtbare Grenze. Ich blieb stehen und verbeugte mich aus Gewohnheit. Der Wald knisterte nervös ein „Auf Wiedersehen“.
    Einige Blätter winkten mir zu. Vermutlich Geister in Blattgestalt. Sachen gab es …
    Ehe ich es mir anders überlegen oder mein Mut mich verlassen konnte, drehte ich mich um und lief los. Ein halber Tagesmarsch lag noch vor mir. Mit etwas Glück nahm mich ein Kutscher mit.
    Und tatsächlich. Auf halbem Wege überholte mich ein Karren, gezogen von zwei Waris, mächtigen Hirschen ohne Geweih. Das war weggezüchtet worden, weil sie sich sonst auf der Straße ineinander verhaken würden.
    Die Tiere überholten mich im flotten Trab, wurden aber abrupt langsamer, als der Kutschbock auf Höhe meiner Schultern war.
    „Wohin, kleines Ding?“, fragte mich eine uralte Männerstimme.
    Mein Herz machte einen Satz. Ein Mensch! Er sprach mit mir!
    Ich wandte mich ihm zu und sah, was ich immer sah: Der Mensch, erst freundlich und zugetan, sah seinen Irrtum – und wand sich.
    „Ich will zur Stadt. Nimmst du mich mit?“, fragte ich freundlich. Der Alte schnalzte mit der Zunge. Die Antwort war klar.
    „Mein Fehler, Wesen. Ich hab es eilig!“ Er knallte den Waris die Zügel auf die Hüften und die mächtigen Tiere fielen in einen raschen Galopp.
    Mir blieb nur, ihren Staub einzuatmen.
    Nach dieser Begegnung musste ich erst einmal Pause machen. Nicht so schlimm, dachte ich immer wieder. Nicht so schlimm.
    Aber es WAR schlimm.
    Es fühlte sich selbst nach zehn Jahren wie Folter an.
    „Wesen“ hatte er mich genannt. Pah. Ich war ein Mensch, so wie er. Glaubte ich zumindest.
    Ein Erdgeist formte sich vor meinen Füßen und streichelte meine Zehen durch die Schuhe durch. Er wollte mich trösten, ganz offensichtlich. Ich nickte ihm dankend zu und ging weiter.
    Entschlossener denn je.
     
    Als ich gegen Spätnachmittag in der Stadt ankam, war ich mit den Nerven völlig fertig. Kein Kutscher hatte mich nach einem Blick ins Gesicht mitnehmen wollen.
    War ich denn so hässlich, so entstellt?
    Ich hatte es seit neun Jahren nicht mehr gewagt, in einen Spiegel zu blicken. Mein eigener Anblick war mir vor zehn Jahren so ein Schock gewesen, dass ich mich seitdem nicht mehr hatte überwinden können. Aber der Wolf schien sich davon nicht abschrecken zu lassen. Er hatte mir sogar die Wange geleckt. Die Wange!
    Bei dem Gedanken an Keelin wäre ich fast umgekehrt, aber das Gesumm und Gebrumm der Stadt zog mich an wie die Möhre meine Meeha. Ich konnte nicht anders. Hier war Leben, hier waren Menschen, hier war ich … trotzdem allein, aber nicht mehr ganz so einsam.
    Ich hatte meinen Stammdealer. Er war der einzige, der mit mir Geschäfte machte. Das lag wohl daran, dass er blind war. Er befühlte die Fälle nur, ertastete so die Qualität. Sein Neffe hatte ihn mal überreden wollen, nicht mehr mit mir zu handeln, aber davon hatte er nichts wissen wollen.
    „Sie bringt hervorragende Qualität!“, hatte er geantwortet. „Gut behandelt, gut abgeschabt. Da weiß man, was man hat. Sei still!“
    Die Wachtposten musterten mich wie jedes Jahr, kurz davor, mich aufzuhalten. Aber ich zückte meine Händlerlizenz - die ich allerdings gestohlen hatte, ich gebe es ja zu, denn wer hätte mir schon eine Lizenz gegeben? - und huschte mit gesenktem Kopf an ihnen vorüber. Sie zuckten zwar, wie immer, ließen mich dann aber doch in Frieden.
    Zwischen einem Karren mit leicht verfaulten Tomaten vor mir und zwei gigantischen Straußen im Rücken, ging es für mich durch die engen Straßen. Ab hier war der Handelsweg mit groben Steinen gepflastert, so alt und abgewetzt, dass sie ganz glattgeschliffen und daher rutschig waren.
    Ich ermahnte mich selbst zur Konzentration. Die Strauße in meinem Rücken machten mich nervös. Sie zogen eine filigrane, bunt bemalte Kutsche, vermutlich Marktbesucher, feine Herrschaften. Die Kutscher nahmen für gewöhnlich auf ausrutschende Mädchen keine Rücksicht, also war Vorsicht geboten.
    Die Straße wurde immer dunkler, je weiter sie ins Herz der Stadt führte, denn die Häuser ragten immer höher und verdeckten das Sonnenlicht.
    Tagre war eine reiche Stadt mit reichen Händlern.

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