Das Band der Magie
fiesen Usurpator hatte ich seit dem Winter nicht mehr gesehen.
Im Frühling verschwanden oft auch die Geister. Ich hatte da so meine Theorie: Sobald es wärmer wurde, schoss auch das Wasser wieder in die Blätter der Bäume zurück. Bunten Farben UND Wasser konnte kein Wassergeist widerstehen. Ich ging daher davon aus, dass die Geister in die Natur zurückkehrten und gerade keine Zeit hatten, sich in meiner Hütte zu tummeln.
Der Frühling war deshalb für mich normalerweise einsam. Das plötzliche Fehlen der Geister in meinem Atem, meinem Tee und meinem Feuer schlug mir ziemlich aufs Gemüt.
Außerdem gingen die Tiere auf Hochzeitskurs: Überall wurde gebalzt, geworben, geschnäbelt, geflirtet, gerubbelt und… egal. Da kam man sich schon mal schnell einsam vor.
Es ist nicht so, dass ich nicht schon längst aus der Pubertät raus wäre. Die Sehnsucht, das Verlangen, die quälenden Zweifel im Inneren und das Gefühl, zu zerreißen – hatte ich alles hinter mir. Selbst das Einsetzen meiner Monatsblutungen hatte mich nicht geschockt: Ich hatte mir die Symptome schon von den Tieren abgeguckt. Ich glaube, ich war irgendwie abgeklärt. Andere würden es wohl als resigniert bezeichnen.
Dass hier mal ein Mensch – dann noch ein Mann – vorbeikommen würde, um mir den Hof zu machen, hielt ich für ziemlich unwahrscheinlich.
Das hieß aber nicht, dass mir das ewige Gebalze und Geliebe nicht ziemlich auf den Geist ging. Es war, als ob ich das einzige Wesen in der Umgebung war, das nicht von den Frühlingsgefühlen profitieren konnte.
In diesem Jahr aber lenkte Keelin mich ab.
Er hockte mit mir am Feuer und brummte beruhigend auf mich ein, schmiss mich aus dem Bett, wenn ich Anflüge von Einsamkeitsdepressionen zeigte, und tollte mit mir herum, bis mir die Beine schmerzten.
Und trotzdem.
Ich wurde unruhiger, je mehr der Frühling voranschritt und es auf den Sommer zuging.
Keelin spürte das und beobachtete mich misstrauisch. Er konnte meine Unruhe nicht einordnen und ich erklärte sie ihm nicht.
Er hatte mir ja Hühner besorgt. Warum sollte ich denn dann zu den Menschen gehen, um welche einzutauschen? Aber …
Ich ging jedes Jahr.
Jedes Jahr hatte ich Herzklopfen. Sogar schon einen Monat, bevor ich aufbrechen musste. Jedes Jahr hatte ich so schreckliche Angst, dass ich eine ganze Woche nicht mehr schlafen konnte.
Aber ich freute mich jedes Jahr darauf, nur um anschließend immer ein bisschen trauriger wieder zurückzukommen.
Allein. Verängstigt. Traurig. Erschöpft. Entmutigt.
Fortgejagt.
Kapitel 5 – Die Stadt
Die Bäume stellten ihre volle Pracht zur Schau, schillerten in allen Regenbogenfarben. Es war Sommer.
Es war die Zeit, in der die Geister zu mir zurückkehrten, um mit den Sonnenstrahlen in meinem Haar zu spielen - und es war die Zeit, in der ich zu den Menschen ging.
An diesem Morgen stand ich entschlossen wie nie auf, schnappte mir meinen neuen Biberbeutel und stopfte die Felle hinein. Ganz oben drauf kam der des Usurpators. Er würde viel Geld einbringen.
Keelin wirkte so unruhig wie ich. Seine Blicke durchbohrten mich fragend, aber ich traute mich nicht, ihm die Wahrheit mitzuteilen.
Er war ein Magiewesen und die mochten normalerweise keine Menschen. Erst Recht keine Menschensiedlungen. Aber ich… ich sehnte mich so sehr nach einem Menschen. Nach Stimmen! Nach Reaktionen auf meine Fragen. Nach Wörtern, Liedern, Melodien.
Also packte ich stumm und stürmte fast aus der Hütte. Der Wolf sprang hinter mir her, verwirrt, verunsichert.
Ich ging Richtung Wald, aber ehe ich ihn erreichen konnte, versperrte mir Keelin den Weg. Er sandte mir das deutliche Signal, dass er eine Antwort auf seine schweigend gestellte Frage erwartete. Wo wollte ich hin?
Ich ließ die Schultern sacken. „Ich will nach Tagre“, sagte ich. Keelin schien mit dem Wort nichts anfangen zu können. Sein Blick blieb weiter fragend. „Das ist eine Menschenstadt!“, erklärte ich weiter. Sofort versteifte sich der Wolf. „Etwa vier Tage Fußmarsch von hier.“ Ich machte eine kurze Pause, wir musterten uns. „Es tut mir leid“, setzte ich traurig nach, dann machte ich einen Bogen um ihn und ging weiter.
Fast rechnete ich damit, dass er nicht mitkommen würde, dass er, wie bei der Jagd, bei der Hütte auf mich warten würde. Aber er zögerte nur kurz und folgte mir dann, allerdings mit eingeklemmtem Schwanz. Neben ihm flatterte eine nervöse Meeha. Sie kam normalerweise nie mit, aber wenn Keelin mir
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