Das Band der Magie
Und die zeigten ihr Geld durch bunte Häuser. Je greller die Farbe, desto besser.
Und da umso reichere Männer im Herzen der Stadt wohnten, desto bunter wurde die Stadt – aber umso höher wurden auch die Bauten.
Am Anfang hatte ich immer den Kopf in den Nacken gelegt, um die riesigen Gebäude um mich herum zu begutachten. Das machte ich nicht mehr: Zu gefährlich, denn mit dem Kopf im Nacken ließ es sich schlecht aufpassen.
Ich wusste aber auch so, dass die Gebäude an sich nur riesige, viereckige Kästen mit Balkonen vorne dran waren. Sie waren zwar hübsch bemalt, ansonsten aber völlig leblos. Pflanzen, die sich an das Gestein klammerten, wurden sofort getötet. Für mich waren sie nur bunte, leblose Dinger.
Was mich viel mehr faszinierte, waren die Gerüche und die Geräusche um mich herum. So viele Menschen, so viele Sprachen!
Ich lauschte und hörte so viele Gespräche mit an, wie ich konnte. Das Kind, das von der Mama ausgeschimpft wurde, der Händler, der mit seiner Frau diskutierte, der Verliebte, der seiner Angebeteten wer weiß was ins Ohr flüsterte.
Die Sehnsucht dehnte mein Herz, mein ganzer Körper kribbelte. Nur an diesem Ort ließ ich es zu, dass ich so fühlte.
Ich wäre so schrecklich gern das Kind gewesen, das ausgeschimpft wurde. Es hatte immerhin eine Mama! Eine Mama! Unvorstellbar.
Und selbst, wenn der Händler mit seiner Frau schimpfte - oder umgekehrt - sie hatten einander, gehörten zueinander, waren Teil einer Familie. Mich hätte der Mann ständig ausschimpfen können, solange er mich ab und zu mal abends in den Arm genommen hätte.
Aber wer nahm mich mal in den Arm?
Bei den Liebespärchen, die ich sah, gingen dann jedes Mal ganz seltsame Dinge in meinem Innersten ab. Ich war neidisch, glücklich, verzweifelt, erleichtert … alles auf einmal.
Jeder junge Mann in meinem Alter sah für mich fantastisch aus. Warzen auf der Nase? Egal. Pickel im Gesicht? Wen interessierte das.
Ich mochte die großen, kräftigen Männer am liebsten. Braune Haare fand ich toll, ob lange oder kurze spielte dabei keine Rolle. Blaue Augen … in die konnte ich stundenlang hineinschauen, zumindest, wenn ich mich getraut und jemand das zugelassen hätte.
Ich hätte ewig gucken, staunen und beobachten können.
Es war wunderbar.
Weniger wunderbar waren die Blicke, die mir zugeworfen wurden – eine Mischung aus Ärger, Missbilligung und Wut. Warum das so war? Ich hatte keine Ahnung.
Ich wusste aber, dass ich mich beeilen musste. Normalerweise schlief ich in einem Gasthaus, völlig erschöpft von der Reise. Das war jedoch auch gefährlich, immerhin reagierten die Menschen ganz unfreundlich auf mein Gesicht.
Heute spürte ich sogar, dass die Menge um mich herum noch feindseliger war als sonst. Oder sah mein Gesicht noch schlimmer aus?
Die Menschen starrten mich an und blickten dann hastig weg, andere durchbohrten mich mit Blicken. Einer spuckte mir sogar vor die Füße. Zum Glück spülte mich der Strom der Händler rasch weiter – und die Strauße bildeten eine Abwehrmauer.
Als ich den Marktplatz betrat, war dieser noch größer und voller als in den letzten Jahren. Es gab hier jeden Tag Markt, jeder Tag war laut.
Heute dröhnte das Geschrei hunderter Menschen in meinen Ohren so laut, dass es fast weh tat.
Ich beeilte mich und hastete durch die engen Gänge zwischen den einzelnen Ständen. Erst kam das Obst, dann das Gemüse, dann die Blumen, dann das Vieh, dann die Felle.
Ich blieb abrupt stehen. Da, wo mein blinder Händler normalerweise feilschte, stand jetzt ein anderer. Hektisch blickte ich mich um.
Nein, der war es auch nicht, der auch nicht, der auch nicht. Mir brach der Schweiß aus, je mehr die Erkenntnis in meinem Hirn waberte: Du wirst wohl fragen müssen.
Zögernd trat ich auf den fremden Händler zu. Der war gerade mit seinen Fellen beschäftigt und zupfte sie in die richtige Form. Als ich ihn fragte, blickte er nicht hoch. Gut so.
„Ich suche Händler Jarosch. Der hat normalerweise immer diesen Platz. Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?“ Mein Herz wummerte in der Brust. Ich sprach mit einem Menschen! Mit etwas Glück würde er auch antworten. Und tatsächlich:
„Jarosch? Den findest du im Grab.“ Jetzt blickte der Händler hoch und mir direkt ins Gesicht.
Er zuckte nur leicht zusammen, dann blinzelte er und ein seichtes Grinsen huschte über seine Wangen. Er hatte Haifischaugen, kleine, schwarze Kieselsteine, und einen spitzen Mund. Ansonsten sah er freundlich aus.
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