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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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es wie eine Garrotte um den Hals des Opfers legen konnte. Die
anderen beiden Jungen schlichen zur Pforte und versteckten sich dort.
Lange brauchten sie nicht zu warten. Der Mann sagte leise: »Morgen um die gleiche
Zeit?«
    »Abgemacht. Ich schaue, was ich sonst noch kriegen kann. Aber beim nächsten Mal
möchte ich mehr Geld.«
»Das bekommst du«, versicherte er ihr. Die Dienstmagd wandte sich ab und huschte
an der Wand entlang ins Haus zurück. Der Mann zündete sich eine Zigarette an und
blieb noch eine Minute, wo er war, während Liam unruhig neben Jim zuckte.
Schließlich ging der Mann in Richtung Gartenpforte. Zwei Schritte, dann war Liam
hinter ihm, das Tuch mit dem Stein sauste zischend durch die Luft und legte sich um
den
Hals des Mannes.
Liam
zog es nach hinten, während sich Jim gegen
die
Kniekehlen des Mannes warf. Nach ein paar Sekunden keuchenden Handgemenges
lag er, das Gesicht nach unten, auf dem Gras unter den Lorbeerbäumen. Liam hatte
ihm das Knie auf den Rücken gesetzt, während ihm die anderen beiden Jungen Arme
und Beine festhielten. »Hör zu«, flüsterte Jim. »Mein Freund würgt dich nicht
weiter, sobald du durch ein Kopfnicken zeigst, dass du verstanden hast.«
Der Mann warf wild den Kopf hoch, worauf Liam die Schlinge lockerte.
»Was wollt ihr von mir?«, keuchte er heiser.
     
»Das Papier, das dir die Dienstmagd gerade gegeben hat. Jungs, dreht ihn mal um.«
    Sie rollten ihn auf den Rücken und Jim tastete nach seinen Taschen. Während er den
Mann durchsuchte, hatte er wieder das Gefühl, das irgendetwas faul war. Er hielt
einen Augenblick inne und sah, wie die Augen des Mannes - große dunkle Augen - in
der Dunkelheit funkelten. Dann fand er das Papier in der Westentasche und steckte
es ein, ehe er sich in die Hocke setzte. Liam stand auf und legte sich das Halstuch
um. Die anderen Jungen ließen los. Der Mann erhob sich langsam und duckte sich
mit katzenhafter Geschmeidigkeit. Und plötzlich blitzte etwas in seiner Hand. Jim
konnte noch nach hinten springen, entging der zustoßenden Messerklinge aber
nicht ganz. Sie erwischte ihn an den Fingerknöcheln der linken Hand: ein heftiger
Schmerz, der im nächsten Augenblick brennend scharf wurde. Er fluchte und rollte
sich zur Seite, um dem erneut zustechenden Gegner auszuweichen. Dann sprang er
auf, schüttelte den rechten Arm aus der Jacke und wickelte sie um den linken Arm,
wie es jeder tat, der sich gegen einen Messerstecher schützen wollte, selbst aber
keine Waffe besaß.
    Liam warf erneut seine Halstuchschlinge. Der Gegner wich geschickt aus und dann
hörte Jim mehrere Geräusche auf einmal: Hufgetrappel und knirschende Wagenräder von der Straße und ein Fenster, das über ihm aufgerissen wurde. Der Mann
drehte sich um und war im Handumdrehen aus dem Garten verschwunden. »Ihm
nach, Jungs!«, rief Jim. »Bleibt ihm auf den Fersen !«
Liam rief den anderen im Versteck etwas zu, und Jim rannte bis zur Gartenpforte,
von wo aus er den Mann die Straße hinunterlaufen sah, verfolgt von einer Schar
kleiner Jungen, die ein wildes Kriegsgeheul ausstießen.
    Plötzlich stand der Prinz neben ihm. Er war gerade aus der Kutsche gestiegen und
noch in voller Abendgarderobe: weiße Halsbinde, Frack, die Brust mit glitzernden
Orden behangen. Aber sein Gesicht sah wie erstorben aus.
»Was ist denn hier passiert?«, fragte er.
     
»Offenbar ein Spion. Aber es ist alles in Ordnung -- bis jetzt. Doch wir müssen
miteinander sprechen - Sie und ich.«
     
»Sie bluten ja«, sagte der Prinz, und erst jetzt merkte Jim, dass die Wunde an der
rechten Hand stark blutete. Sie tat ihm scheußlich weh.
     
»Ich dachte, Sie wären beim Empfang in der brasilianischen Botschaft«, sagte Jim,
während er sich ein Taschentuch um die Hand wickelte.
    »Das war ich auch, aber dann ist etwas geschehen ... Und hier war ein Spion? Ach,
das ist zu viel -« »Gehen wir hinein«, schlug Jim vor und zu dem vom Kutschbock
gaffenden Kutscher sagte er: »Holen Sie die Polizei und beeilen Sie sich.« Der Mann
ließ die Peitsche knallen und fuhr los.
    Kaum eingetreten, führte Jim den Prinzen in den Salon und ließ die Dienstmagd
holen. Die machte zwar ein erschrockenes Gesicht, maß aber beide mit kurzen, berechnenden Blicken. Jim redete mit ihr Fraktur. »Sie sind eine Diebin«, sagte er ihr
ins Gesicht. »Die Polizei wird gleich hier sein und Sie mitnehmen. Wie lange Sie im
Gefängnis bleiben, hängt davon ab, ob Sie uns jetzt die Wahrheit sagen. Wer war
der Mann, mit dem Sie

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