Das Banner des Roten Adlers
vorhin gesprochen haben?« »Weiß nicht«, versetzte sie mit
erhobenem Kinn. »Deswegen komm ich doch nicht in den Knast.« »Vielleicht nicht.
Schließlich ist das ein Fall von Hochverrat, darauf steht gewöhnlich Tod durch den
Strang. Haben Sie schon einmal daran gedacht, wie das ist, wenn Sie vor dem
Scharfrichter stehen?« Das war geblufft, verfehlte aber seine Wirkung nicht. Ihre
Pupillen weiteten sich und sie tat einen kleinen Entsetzensschrei. »Ich kenn ihn
wirklich nicht - er hat mir dafür fünf Sovereigns gegeben, aber ich wollte niemandem
was Böses tun - ich dachte, das spielt keine Rolle ...«
Sie war nicht aufrichtig, wusste aber wenig mehr zu berichten. Jim sperrte sie in der
Spülküche ein und kehrte in den Salon zurück. Dort ging der Prinz nervös auf und ab
und kaute an einem Fingernagel. »Was hat sie denn gestohlen?«, wollte er wissen.
»Das hier«, sagte Jim und zeigte ihm die Heiratsurkunde.
Der Prinz schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Aus seinem Blick sprach die
schiere Verzweiflung. Aber, so erinnerte sich Jim, der arme Mann hatte diesen Blick
schon vorhin. Da musste noch etwas anderes dahinter stecken.
»Sir, warum sind Sie nicht offen zu mir?«, drängte er ihn. »Warum lassen Sie mich
im Dunkeln? Ich arbeite doch für Sie-«
Der Prinz stand in seiner Abendgarderobe vor ihm, mit dem Kreuz des heiligen X und
dem Orden des Goldenen Y, und sah hilflos aus. Es war alles einfach zu viel für ihn.
Schließlich erzählte er Jim, weshalb er früher nach Hause gekommen war.
»Ich musste die Gesellschaft vorzeitig verlassen. Ein Bote war gekommen - mit einer
schrecklichen Nachricht. Mein Bruder, der Kronprinz, und seine Gemahlin Prinzessin
Anna - auf beide ist geschossen worden. Er ist tot, und ob sie überleben wird, ist
ebenfalls ungewiss. Ich muss so schnell wie möglich heim. Ich bin gekommen, um
meine Frau zu warnen ... Ich habe den Botschafter und seine Gattin herbestellt. Sie
sollen in zwanzig Minuten hier sein. Sie wissen noch nicht, weshalb.«
In dem Augenblick ging die Tür auf und Adelaide kam herein. Jims Herz hüpfte, als
ob ihm die Seele aus dem Leib springen und zu ihr fliegen wollte. Die großen
dunklen
Augen,
die
schlanke
Gestalt,
Scharfsinn
und
Übermut,
aber
auch
der lebhafte
Gesichtsausdruck,
aus
dem
eine gewisse Schwermut
und
Bangigkeit
sprachen ... Ihm wurde im selben Augenblick klar, dass er ihr beistehen musste,
ganz gleich wohin ihn diese Geschichte noch führen würde. Er fühlte sich beflügelt,
bis er sich daran erinnerte, dass sie eine verheiratete Frau war, eine Prinzessin
obendrein - und er stand im Dienst ihres Ehemanns. »Hallo, Jim«, sagte sie sanft.
»Kleine Adelaide«, sagte er mit bebender Stimme. »Wo hast du bloß die ganze Zeit
über
gesteckt?«
Sie
schaute
zum
Prinzen
hinüber,
versuchte,
seinen
Gesichtsausdruck zu deuten, und senkte dann den Blick auf Jims Hand.
»Du bist ja verletzt«, rief sie besorgt und ging auf ihn zu, um sie aus der Nähe zu
betrachten. Dann löste sie das Taschentuch, das sich Jim hastig um die Hand gewickelt
hatte.
»Lass
mich
das
ordentlich
verbinden
-
vorher
muss
die
Wunde
ausgewaschen werden - Rudi, was ist denn eigentlich los?«
Sie läutete und ließ den Koch eine Schüssel mit warmem Wasser holen. Unterdessen
erzählte ihr der Prinz, was sich in Raskawien ereignet hatte. »Jetzt bin ich der
Thronerbe«, stellte er abschließend fest. »Wenn mein Vater stirbt, werde ich König.
In wenigen Minuten wird der Botschafter hier sein. Ich habe ihn gebeten, seine Frau
mitzubringen. Ich muss sie beide einweihen. Und dann müssen wir alle abreisen,
und zwar so rasch wie möglich.« »Nach Raskawien?«
»Ja. Ich kann nicht ohne dich gehen. Du musst mitkommen, Adelaide. Und Sie
ebenfalls, Mr Taylor. Adelaide blickte erst Jim kurz an, dann ihren Mann. »Ich
möchte, dass auch Becky mitkommt.« Dann passierten mehrere Dinge auf einmal.
Der Koch kam mit einer Schüssel voll warmem Wasser und einem Waschlappen und
gleichzeitig klopfte es an der Tür. Als Jim durchs Fenster schaute, sah er draußen einen Polizisten stehen und die Lichter einer Kutsche, die die Auffahrt heraufkam.
»Gehen wir nach oben«, sagte Adelaide zu Jim und nahm die Schüssel. Jim folgte ihr
und
überließ
es
dem
Prinzen,
bei
dem
Polizeibeamten
Anzeige gegen
die
Dienstmagd zu erstatten und den Botschafter mit Gattin im Salon zu empfangen.
Was die wohl denken mögen, fragte sich Jim. Na, in wenigen Minuten wissen sie
mehr ...
Adelaide kniete vor ihm
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