Das Banner des Roten Adlers
Ratten mit Terriern kreuzen
könnte, hätten sie solchen Nachwuchs. Jim hatte sie für verschiedene Aufgaben
eingesetzt und immer gut bezahlt, daher schätzten sie ihn als jemanden, der ihren
Wert kannte, und als Mann von Welt.
Sobald er den Verdacht hatte, bei dem Mädchen könnte es sich um Adelaide
handeln, hatte er sie zur Bewachung der Villa in St. John's Wood eingesetzt, ohne
dass irgendjemand etwas davon bemerkt hätte, versteht sich. Sie hielten sich im
verwilderten Garten der leer stehenden Villa versteckt, die oberhalb von Adelaides
Haus lag, und sollten bei Gefahr sofort Alarm schlagen. Auch sie hatten niemanden
eine Bombe werfen sehen. Für Jim war daher klar, dass es sich um eine Höllenmaschine gehandelt haben musste. Am Abend desselben Tages - der Prinz war zu
einem Empfang in die brasilianische Botschaft gefahren - ging Jim seine irische
Garde inspizieren. Die Jungs waren in bester Laune. Vielleicht zu gut gelaunt; die
Straßenjungen dieses Viertels waren keine ernst zu nehmenden Gegner für sie. Als
Jim
bei
ihrem
Versteck
ankam,
feierten
sie
gerade ihren
Sieg
über
einen
Metzgerjungen und brieten sich ein paar lecker ausschauende Würste über einem
qualmenden offenen Feuer. »Aber wir sind doch weitab vom Schuss!«, protestierte
Liam, als Jim sie ausschimpfte. »Hier sind wir sicher. Außerdem: Machen nicht alle
Guerillakämpfer Beute?«
»Ihr solltet unbedingt für niemanden sichtbar sein, das verlange ich von euch.
Wartet mit dem Beutemachen, bis ihr eure Aufgabe erledigt habt. Ist die Lady zu
Hause?«
»Sie hat eine Spazierfahrt gemacht«, meldete ein kleiner Junge namens Charlie.
»Ungefähr vor einer Stunde ist sie wieder zurückgekehrt. Sir, wissen Sie schon, was
mit der Dienstmagd los ist?«
»Was denn?«
»Sie hat einen Freier.«
»Das ist ein Louis.«
»Ein Lude, wenn Sie mich fragen.«
»Schon gut, aber nicht so laut«, mahnte Jim. »Was macht der Typ denn so?«
»Er kommt jeden Abend nach Einbruch der Dunkelheit«, berichtete Liam. »Sie
schleicht sich nach draußen und dann tuscheln sie hinter den Büschen. Wir könnten
ihm eins über die Birne ziehen, was meinen Sie? Mal schauen, was er so in den
Taschen hat.« »Nein, das lasst bleiben. Folgt ihm lieber und schaut, woher er
kommt.«
»Pst!«, machte der Beobachtungsposten. Jim kletterte über ein Gewirr von Beinen
und schaute in die angezeigte Richtung. »Da kommt er gerade ...«
Die Straße war zwar von Gaslaternen erhellt, doch die Lorbeerbäume in Adelaides
Garten warfen tiefe Schatten. Jim konnte nur eine dunkle Gestalt erkennen, die am
Haus entlanghuschte und dann im Dunkeln verschwand. Einen Augenblick später fiel
Licht in den Garten, als die Küchentür aufging und sogleich wieder geschlossen
wurde.
»Los«, sagte Jim. »Wir schleichen uns an und lauschen. Ich, Liam, Charlie und Sean.
Wenn ich rufe, schnappen wir ihn uns. Wenn nicht, lasst euch weder blicken noch
hören.«
Die irische Garde war ihr Geld wert. Die Jungen huschten wie Katzen über die Straße
und wenige Sekunden später waren sie zusammen mit Jim unter den Bäumen in
Adelaides Garten. Jim spürte eine Hand auf seinem Arm. »Hören Sie«, flüsterte
Liam. Zwei Stimmen tuschelten ganz in der Nähe. Das Mädchen sagte gerade: »...
und sie prahlte vor der anderen, dass sie mit ihm verheiratet ist!«
»Verheiratet?«,
sagte
die
andere Stimme.
Jim
spürte ein
leises
Knistern
am
Haaransatz, denn irgendetwas war faul an dieser Stimme; klang sie nach einem
Ausländer? Oder war es etwas anderes? »Und ich habe das hier gefunden.« Man
hörte das Rascheln von Papier, dann leuchtete die Flamme eines Streichholzes auf,
das
der
Mann
angerissen
hatte.
Jim
sah,
wie Liams
Augen
glänzten.
»Eine
Heiratsurkunde ...«, sagte der Mann. »Was hat dieses Zeichen zu bedeuten?«
»Ein X. Das ist ihre Unterschrift. Sie kann nicht mal lesen oder schreiben, deshalb
musste sie ihr Kreuzchen machen. Aber darunter steht ihr Name, rechtlich ist alles
einwandfrei.« Der Mann machte nur »Ah«. Münzen klimperten.
Während die beiden beschäftigt waren, flüsterte Jim. »Sobald sie wieder im Haus ist,
schnappen wir ihn uns.
Ich muss unbedingt dieses Papier haben. Aber er darf auf keinen Fall schreien.«
Mehr brauchte er seinen Begleitern nicht zu sagen. Wie die meisten Straßenjungen
seines Alters trug Liam ein Halstuch, das ihm zu allen möglichen Zwecken diente. Er
nahm es ab, bückte sich und tastete nach einem Stein. Den Stein knotete er so in
das Tuch, dass er
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