Das Banner des Roten Adlers
über
mit Orden dekoriert. Die korpulente Frau, die neben ihm stand, offenbar seine
Gattin, machte eine eisige Miene und glänzte wie ein ganzes Opernhaus. Der Prinz
schloss die Tür.
»Wir müssen englisch reden«, begann er. Er war blass und wirkte angespannt, fuhr
aber mit fester Stimme fort. »Was ich mitzuteilen habe, hätte ich lieber auf andere
Art
und
unter anderen
Umständen
gesagt,
aber es
ist
jetzt
nicht
zu
ändern.
Adelaide, das ist der Botschafter, Graf Thalgau, und das ist seine Gattin, die Gräfin.«
Jim bemerkte, dass sich die Genannten sofort über die Art der Vorstellung im Klaren
waren: Sie wurden Adelaide vorgestellt, nicht diese ihnen, also musste Adelaide die
sozial Höherrangige sein. Einen Augenblick lang herrschte Erstaunen, dann war Jim
an der Reihe. »Graf Thalgau, das ist mein geschätzter Sekretär und Berater Mr James
Taylor. Wie Sie sehen, ist er im Dienst für mich heute Abend verwundet worden.«
Diesmal war das Staunen mit Anerkennung gepaart, gefolgt von Hackenknallen und
einer kurzen Verbeugung. Jim konnte keine Hände schütteln, aber er brachte ein
knappes, preußisch anmutendes Kopfnicken zustande. Hinter der Höflichkeit spürte
er eine ungeheure Neugierde sich wie Dampf in einem Kessel aufstauen. Der Prinz
ergriff Adelaides Hand und zog sie unter seinen Arm.
»Und das ist meine Frau Adelaide und Ihre Prinzessin«, verkündete er.
Der Graf trat einen Schritt zurück; der Gräfin ging vor Erstaunen der Mund auf. Dann
ließ der alte Mann seiner Empörung freien Lauf.
»Um Himmels willen! Verheiratet. Verheiratet! Eure Hoheit, sind Sie von Sinnen?
Haben
Sie den
Verstand
verloren? Die
Heirat
eines
Prinzen
-
und
jetzt
eines
Kronprinzen
und
Thronerben
-
ist
keine Sache für
liebeskranke Jünglinge und
mondsüchtige Poeten, weiß Gott nicht! Das ist eine Angelegenheit für Diplomaten
und Staatsmänner. Mein Gott! Die Zukunft Raska-wiens hängt von dem Bündnis ab,
das Sie mit Ihrer Heirat eingehen - ach, mein Gott!«
»Und das wäre ein weiterer sehr guter Grund, um meine Heirat mit dieser Lady zu
rechtfertigen«, erwiderte der Prinz, blass, aber standhaft, »wenn es denn eines
anderen Grundes bedürfte als meiner Liebe. Denn jede diplomatisch eingefädelte
Heirat wäre sogleich als Zeichen meiner politischen Position verstanden worden und
das hätte verheerende Folgen gehabt. So aber bleibt mir die Freiheit, nach meinem
besten Wissen und Gewissen für Raskawien zu handeln, ohne auf durch meine
Heirat
begründete Bündnisse Rücksicht
nehmen
zu
müssen,
die das
Land
nur
gespalten hätten.«
»Ach, sancta simplicitas!«, stöhnte der Graf. »Aber die Familie der Dame - wer ist
sie?«
Der Prinz sah zu Adelaide hinab und sagte: »Meine Frau ist englischer Abstammung.
Soweit ich weiß, hat es zwischen den Völkern Englands und Raskawiens immer nur
Freundschaft gegeben. Folglich kann nichts unsere Heirat verhindern.«
»Verhindern nicht, aber auflösen schon. Wir sollten uns sogleich an den Vatikan
wenden. Der Kardinal wird sich dafür verwenden -«
»Niemals!«, rief der Prinz und sprach in Deutsch weiter. Mit hoher, zorniger Stimme
sagte er: »Es steht Ihnen nicht zu, Graf Thalgau, die Entscheidungen von Prinzen zu
hintertreiben. Hätte ich Sie um Ihren Rat ersucht, hätte ich Ihnen mit Ehrerbietung
zugehört -doch ich habe es nicht getan. Ich habe Sie nicht um Ihren Rat gebeten. Ich
erwarte von
Ihnen
Loyalität.
Sie sind
stets
ein
treuer
Freund
meines
Hauses
gewesen; verraten Sie mich nicht jetzt. Ich liebe diese Dame wie meine Seele. Nichts
kann uns trennen außer der Tod -ganz gewiss nicht irgendwelche Winkelzüge, die im
Vatikan ersonnen wurden. Haben Sie mich verstanden?« Zum ersten Mal erkannte
Jim etwas von einer königlichen Haltung beim Prinzen. Der Graf schloss die Augen.
Dann
rieb
er
sich
die Schläfen
und
sagte:
»Nun
gut,
was
geschehen
ist,
ist
geschehen. Aber selbstverständlich muss es eine morganatische Ehe sein. Die königliche Linie der Eschtenburgs erlischt dann mit Ihnen. König August II. -«
»Es kann keine morganatische Ehe sein.«
»Warum nicht?«
»Weil wir hier geheiratet haben. Das englische Gesetz sieht keine morganatische
Ehe vor. Meine Frau hat den Rang einer Prinzessin.«
Dass der Prinz immer noch stand, hielt den Botschafter davon ab, sich auf einen
Stuhl
zu
setzen.
Er
geriet
ins
Wanken,
bis
Adelaide das
Wort
ergriff.
»Eure
Exzellenz«, sagte sie mit unüberhörbarem Londoner Akzent. »Ich verstehe Ihre
Überraschung.
Ich
freue mich, Sie
Weitere Kostenlose Bücher