Das Banner des Roten Adlers
Willen, aber die Ehe musste morganatisch sein.«
»Richtig
so«,
pflichtete Mr
Taylor
bei.
»Mit
einem
Ei
auf
dem
Thron
wäre
niemandem gedient. Aber ist es nicht ein merkwürdiger Zufall, dass Prinz Rudolf bei
seiner
Suche nach einem
Lehrer für seine
Frau ausgerechnet an einen seiner
Untertanen gerät?« »So merkwürdig ist das nicht. Wir sind in Maida Vale recht viele,
die Raskawien aus verschiedenen Gründen verlassen mussten. Maler, Schriftsteller
und dergleichen, ich kenne mindestens ein Dutzend. Zu unseren Möglichkeiten,
Geld zu verdienen, gehört privater Deutschunterricht. Der Prinz hätte jeden von uns
auswählen können, ohne zu wissen, woher wir stammen.«
»Und Sie«, schaltete sich Mrs Goldberg ein. »Was möchten Sie aus Ihrem Leben
machen?« Diese Frage wurde Mädchen nicht oft gestellt, das war jedenfalls Beckys
Erfahrung, und so wusste sie auch nicht so recht, was sie antworten sollte. Sie
liebäugelte mit dem Gedanken, als Professorin im schwarzen feierlichen Talar in die
Vorlesung zu rauschen und von den Studenten mit Frau Doktor tituliert zu werden.
Aber dann gefiel ihr auch wieder die Vorstellung, als Chefin einer Spelunke mit
Zigarre im Mund, Diamant im Ohr und Pistole im Cnirtel ihr Regiment zu führen. Es
fiel ihr schwer, sich zu entscheiden.
»Ich muss Geld verdienen«, gestand sie. »Ich würde gern studieren, aber ich muss
Mama unterstützen. Sie zeichnet Illustrationen für Groschenhefte. Aber nun stecke
ich in dieser Geschichte ... Ich habe versprochen, Miss Bevan wieder zu sehen.
Adelaide. Die Prinzessin. Sie muss viel lernen und ich möchte ihr helfen. Und außerdem bin ich neugierig. Prinz Rudolf ist ja ein Nachfahre Walter von Eschtens. Das
bedeutet mir viel. Denn schließlich bin ich Raskawierin, einmal abgesehen davon,
was man meinem Vater angetan hat. Und wenn jemand versucht, meine königliche
Familie in die Luft zu sprengen ...«
»Ja?«, fragte Mr Taylor.
»Dann will ich versuchen, diesen Jemand daran zu hindern.«
»Bravo«, sagte er. »Aber Sie sollten sich von Dynamit fern halten.«
»Ach, ich wüsste zu gern, wie das alles weitergeht«, sagte Mrs Goldberg mit echter
Anteilnahme. »Aber ich fahre übermorgen mit meinem Mann nach Amerika. Er will
die sozialen Bedingungen der Arbeiter in Chicago kennen lernen und ich wollte mir
die New Yorker Börse anschauen. Wir werden für einige Zeit fortbleiben ... Hören
Sie, Rebecca - ich darf Sie doch Rebecca nennen?« »Becky.«
»Gut, also Becky: Grüßen Sie Adelaide von mir. Und vertrauen Sie Jim - Mr. Taylor und achten Sie auf seinen Rat. Er hat mir schon dreimal das Leben gerettet. Ich
hoffe, dass er nicht das Gleiche für Sie tun muss, aber wenn es doch so weit käme,
dann wird er es sicher tun. Viel Glück!«
Drei
Die Irische Garde
Jim Taylor war dreiundzwanzig. Wie er Becky erzählt hatte, hatten er und Sally
Goldberg gemeinsam schon zahlreiche Abenteuer bestanden und Gefahren erlebt;
er arbeitete als Detektiv, obgleich das nur einer von vielen Wegen war, auf denen er
Geld verdiente. Er schrieb auch Schauergeschichten für Groschenhefte - ebenjene,
die Beckys Mutter illustrierte -, hatte aber in der Literatur den Ehrgeiz zu Höherem.
Er frönte dem Glücksspiel, war Kurier und Leibwächter gewesen, kurz, er hatte
zahlreiche Erwerbsquellen und wusste viel über die schillernden und nicht ganz
legalen Seiten Londons.
Dagegen verstand er wenig von europäischer Politik. Nachdem er Becky nach Maida
Vale zurückgebracht hatte, nahm er den nächsten Omnibus nach Soho. Dort suchte
er in der Dean Street eine schäbige Pension mit angeschlossenem Sozialistenclub auf
und stieg bis in den dritten Stock hoch. Hier traf er Sallys Ehemann Daniel Goldberg,
der,
die Zigarre im
Mund,
gerade Bücher für
die anstehende
Amerikareise
zusammenpackte.
»Warst du schon mal in Raskawien, Dan?« »Ich bin einmal durchgefahren. Trink bloß
nicht das Wasser, das man in dem Kurort anbietet - davon bekommt man Koliken,
die einen für eine ganze Woche niederstrecken. Warum?«
Jim erklärte ihm alles. Goldberg hielt beim Packen inne und hörte zu.
»Wie machst du das? Wie gerätst du immer wieder in Schwierigkeiten ?«
»Eine Frage des Glücks. Aber was ich gern wissen möchte, wer will den Prinzen in
die Luft jagen? Anarchisten? Was meinst du?«
»Bah! Wer weiß das? Die Hälfte dieser Burschen ist verrückt und die andere Hälfte
bringt nichts zustande. Du hast doch mit dem Prinzen persönlich gesprochen. Was
denkt er denn
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