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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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und tupfte behutsam seine verwundete Hand, ehe sie mit
dem Verbinden begann. Dabei sprachen beide leise und eindringlich wie schuldbewusste Kinder.
»Was soll jetzt geschehen, Jim? Ich kann doch unmöglich Prinzessin werden -«
    »Du bist es schon. Also rede nicht weiter davon. Wo hast du denn die ganze Zeit
gesteckt? Was ist passiert, nachdem wir dich verloren hatten? Die Nacht, als wir vor
Mrs Holland flohen -«
    »Damals auf dem Kai - du und Mr Garland, ihr habt mit diesem großen Mann
gekämpft -« »Wir haben ihn getötet. Beinahe hätte er uns umgebracht. Wovor bist
du eigentlich weggelaufen?«
»Weiß nicht. Ich hatte solche Angst. Oh, Jim, ich habe schlimme Sachen gemacht -«
    »Wie bist du eigentlich unter die Haube gekommen?« »Er hat mich gefragt. Er liebt
mich.« »Das sehe ich. Aber wie hast du ihn kennen gelernt?« »Ich war - ich ging ach, ich schäme mich so.« »Eine zweite Gelegenheit, dich auszusprechen, bekommst
du nicht, Adelaide. In wenigen Minuten kommen die anderen und dann werden wir
nie wieder allein sein, ist dir das klar? Du bist auf den Strich gegangen, stimmt's?«
    Sie nickte. Der Kummer stand ihr ins Gesicht geschrieben. Er hätte sie jetzt am
liebsten geküsst, doch tat er insgeheim einen Schwur: Solange der Prinz lebte, verbot er sich dieses Gefühl; er würde nicht zulassen, dass sich ihre Hände wie jetzt
berührten; er würde immer mindestens zwei Schritte Abstand zu ihr wahren. Hier
ging es um Liebe und Ehre, und wenn diese beiden Mächte aufeinander prallten,
konnte es einem leicht das Herz brechen.
    »Ich war verloren, Jim. Ich wusste nicht mehr, was tun. Ich habe gebettelt, gestohlen
und wäre doch beinahe verhungert ... Schließlich landete ich in einem Haus am
Shepherd Market. Du weißt, welche Sorte Haus ich meine. Die alte Chefin hieß Mrs
Catlett, sie hatte ein halbes Dutzend Mädchen, die für sie arbeiteten. Sie war nicht
unmenschlich, sie sorgte dafür, dass ein Arzt uns jeden Monat untersuchte ... Und
eines
Tages
kam
ein
deutscher
Edelmann mit seinen
Freunden.
Wie ein Touristenführer zeigte er ihnen das Haus und uns dazu. Einer von den Männern war der
Prinz. Ich sah, dass er sich unbehaglich fühlte, er wollte diese Art Vergnügen nicht,
aber er war freundlich und so unterhielten wir uns einfach ... ja, und dabei muss er
sich in mich verliebt haben. Der Arme hatte bis dahin ja nicht viel Liebe gekannt.
Jedenfalls gab er Mrs Catlett viel Geld, damit sie mich gehen ließ, und richtete mir
hier eine Wohnung ein. Anschließend haben wir geheiratet. Ein Nein hätte er nicht
gelten lassen. Anfangs ging ich oft nach Bloomsbury und schaute von gegenüber ins
Fotoatelier Garland ...«
    »Warum
bist
du
denn
nicht
reingekommen,
du
verrücktes
Huhn? Weißt
du
eigentlich, dass wir Privatdetektive angeheuert hatten, um dich in ganz London suchen zu lassen?«
    »Ich hatte solche Angst, etwas falsch gemacht zu haben. Später habe ich dann
meinen ganzen Mut zusammengenommen und bin noch mal hingegangen, aber da
war alles ausgebrannt . . . « »Fred ist in den Flammen umgekommen.« »Er hat nie . ..
Oh, Gott ... Und was ist aus Miss Lockhart geworden? Und Mr Tremble?« »Miss
Lockhart ist verheiratet. Sie heißt jetzt Mrs Goldberg. Und der alte Tremble hat eine
reiche Witwe gefreit. Er führt eine Pension in Islington.« Dann fing sie wieder an:
»Jim, was soll bloß werden? Ich kann doch nicht die Prinzessin spielen. Ich kann's
nicht ...«
»Du bist mit ihm verheiratet, damit musst du dich abfinden. Du kannst da nicht
einfach aussteigen. Aber ich bin ja da und Becky -«
»Kommt sie auch bestimmt mit? Ohne sie gehe ich nicht, das schwöre ich.«
    »Klar kommt sie mit«, beruhigte Jim sie, obwohl er sich im Stillen gar nicht so sicher
war. »Aber horch, die anderen kommen die Treppe herauf. Kopf hoch, Kleines. Wir
haben
schon
Schlimmeres
durchgemacht.
Erinnerst
du
dich
noch
an
die
Knochenkohlefabrik?« Sie lächelte nervös und Jim fühlte einen Stich im Herzen.
Es klopfte einmal kurz und sogleich ging die Tür auf.
    Jim stand auf, als der Prinz eintrat. Der ältere Herr, der ihm folgte, warf einen
erstaunten
Blick
auf
den
jungen
Mann
mit
den
zerzausten
Haaren
und
der
zerrissenen Jacke, auf die junge Frau, die ihren Rock glatt strich, und auf die Schüssel
mit dem blutrot gefärbten Wasser. Dann schlug er die Hacken zusammen und
verbeugte sich.
Er
war
ein
kräftiger,
rotgesichtiger Militär
mit
Schnauzbart,
Stoppelhaar und einem Schmiss auf der Wange. Die breite Brust war über und

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