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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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sollen, was sie
ja getan hatte. Aber Adelaide sprach als Erste. »Rudolf«, begann sie, »du kennst
Miss Winter und ihre Mutter. Becky, ich glaube, deine Mutter weiß, dass Herr
Strauss eigentlich Prinz Rudolf ist.«
    Frau Winter machte einen Knicks vor dem Prinzen und errötete. Becky knickste
ebenfalls ziemlich unvermittelt, ehe sich Adelaide an die Dame wandte. »Gräfin«,
fuhr sie fort, »darf ich Ihnen Frau und Fräulein Winter vorstellen. Das ist Gräfin von
Thalgau. Sie ist die Gattin des raskawischen Botschafters.« Noch mehr Knickse und
ein kühler Händedruck. Die Gräfin schaute sich im Zimmer um und schloss viel sagend die Augen.
    Nachdem Mrs Page einen weiteren Stuhl gebracht und alle einen Platz gefunden
hatten, begann der Prinz seine Ausführungen. Er sprach zuerst von der Ermordung
des Kronprinzen und dann über seine Heirat. Anfangs sprach er englisch, eine
Sprache, die er zwar beherrschte, in der er sich aber nicht zu Hause fühlte. Wenig
später wandte er sich an Adelaide und sagte: »Entschuldige, meine Liebe, aber jetzt
muss ich deutsch sprechen, sonst finde ich nicht die treffenden Worte.« Mit seinem
blassen, verträumten Gesicht im Schein der Lampe wandte er sich an Beckys Mutter:
»Frau Winter, als mir meine Frau berichtete, dass die Sprachlehrerin, die ich für sie
engagiert hatte, aus meiner Heimat stammt, fühlte ich die Hand Gottes in meinem
Leben. Als ich dann noch erfuhr, wer ihr Vater war, war ich mir ganz sicher. Ich hatte
einmal das Privileg, Ihren verstorbenen Gatten kennen zu lernen. Er kam zu mir ins
Schloss, um mit mir über die Entwicklung unserer Gesetzgebung zu sprechen. Die
Unterhaltung war ein Teil meiner Erziehung. Glauben Sie mir, ich bedauere seinen
Tod sehr. Eines meiner größten Anliegen ist eine Änderung unserer Verfassung,
damit demokratische Parteien zugelassen werden können, wie das Ihr Gatte wollte.
    Wie bei allem, was ich mir vorgenommen habe, bin ich auch hier auf das Urteil und
das Gespür meiner Frau angewiesen. Ihre Weitläufigkeit hat ihr bereits in jungen
Jahren eine Klugheit und Charakterstärke beschert, von der ich mir Halt und Stütze
verspreche.« Becky beobachtete, wie die Gräfin Adelaide kalt taxierte. Adelaide saß
still da, die Hände im Schoß gefaltet, und schaute auf den Prinzen, ohne etwas zu
bemerken.
    »Aber meine
Frau
braucht
Unterstützung«,
fuhr
der
Prinz
fort.
»Sie braucht
jemanden, der ihr mit Rat und Tat zur Seite steht. Jemanden, der ihr das notwendige
Wissen vermittelt. Und sie hat mir gesagt, dass Fräulein Winter diese Anforderungen
besser als jeder andere erfüllen kann.
    Frau Winter, entschuldigen Sie, dass ich so langatmig gesprochen habe. Wenn Sie
nicht zulassen, dass Ihre Tochter die Prinzessin von Raskawien als deren Vertraute
begleitet, werde ich Verständnis dafür haben und Sie nicht weiter belästigen. Wie
Sie sich auch entscheiden, ich bitte Sie für die Störung um Verzeihung.« Mama
schaute Becky an, holte tief Luft und faltete die Hände wie zum Gebet. Dann schlug
sie die Fingerspitzen sacht zusammen, als hätte sie einen Entschluss gefasst.
    »Eure Hoheit«, sagte sie, »zuerst möchte ich sagen, wie geehrt wir uns fühlen. Und
wie sehr ich wünschte, Sie angemessener empfangen zu können. Ich erinnere mich
gut an den Besuch meines Mannes bei Hofe. Er erzählte mir, wie aufmerksam Sie
ihm zugehört und was für interessante Fragen Sie ihm gestellt hätten. Wenn er noch
am Leben wäre, hätten Sie keinen weiseren und loyaleren Ratgeber als ihn finden
können. Ich fühle mich geehrt, dass Sie uns Ihr Vertrauen geschenkt haben. Doch
was Sie verlangen, ist viel ... Ich bin nur eine Witwe in einem fremden Land. Ich muss
kämpfen, um ein bescheidenes Auskommen zu haben. Ich habe nur noch meine
betagte Mutter und meine Tochter und ich liebe beide sehr. Sollte Rebecca irgendetwas zustoßen, wäre das mein Ende. Aber sie ist eine junge Frau, die über große
innere Stärke, Aufrichtigkeit und viele Talente verfügt. Ich habe mich bemüht, sie
stets zu Bescheidenheit, Güte, Fleiß und Mitgefühl anzuhalten. Ich bin stolz auf sie.
Die Prinzessin braucht sicherlich eine gute Freundin, und ich denke, dass sie keine
aufrichtigere und wertvollere als meine Rebecca finden könnte. Hoheit, wir fühlen
uns durch Ihre Bitte geehrt. Aber erlauben Sie mir die Bemerkung, dass Prinzessin
Adelaide durch die Freundschaft meiner Tochter noch mehr geehrt wird. Meine
Antwort lautet also Ja, sie hat meinen Segen und kann gehen. Doch ich

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