Das Banner des Roten Adlers
von Ungeduld über
deren Hilflosigkeit mischte. Doch dann schaute sie den alten König mit so offener
Zuneigung an, dass man es sogar aus einiger Entfernung erkennen konnte. Sie trat
vor ihn hin und ein Hofbeamter reichte dem König einen Orden am Band.
»Prinzessin Adelaide«, sagte er und legte ihr den Orden um den Hals.
Jetzt war sie also offiziell eine Prinzessin, da sie der König als solche anerkannt hatte.
Das war nun eine unumstößliche Tatsache. Minuten später standen sie und der
Prinz sowie Becky im Mittelpunkt einer Schar von Gratulanten. Becky übersetzte die
Glückwünsche und Adelaides Erwiderungen.
Zu den ersten Gratulanten gehörte der englische Botschafter Sir Charles Dawson, ein
graubärtiger alter Langweiler, der Adelaide in Deutsch ansprach. Als ihm Adelaide
mit ihrem schönsten Londoner Akzent antwortete, hätte er beinahe sein Monokel
verschluckt.
»Ich
komme aus
London,
Sir
Charles.
Wir
haben
die
gleiche
Muttersprache. Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen.«
»Ich - du meine Güte - ich - weiß Gott, so etwas! Eine Engländerin, äh, eine englische
Lady. Also wirklich, wer hätte das gedacht!«
Der alte Trottel war wohl der Einzige in ganz Eschten-burg, der noch nichts von den
Gerüchten
gehört
hatte,
dachte
Becky.
So
viel
zur
Tüchtigkeit
der
englischen
Diplomatie.
Er mummelte noch eine ganze Weile vor sich hin, bis ein Hüne von einem Mann vor
Adelaide erschien, die Hacken zusammenschlug, sich verbeugte und Adelaide einen
Handkuss gab.
Das schwarze Haar stand bürstenartig nach oben, und die gewichsten Enden seines
Schnauzbartes waren so spitz, dass Becky meinte, er müsse Korken darauf setzen,
ehe er jemanden küsste. Seine dunklen Augen funkelten.
»Graf Otto von Schwartzberg«, murmelte ein Hofbeamter.
Der große Jäger! Becky fühlte Mitleid
mit allem Getier, ob Wolf, Hirsch oder
Mammut, das ihm in die Quere kam. Sie riskierte einen neugierigen Blick auf seine
bärenwürgenden Pranken. Sie waren die größten, die sie je gesehen hatte, und von
Narben übersät. »Cousine!«, grüßte er Adelaide mit dröhnender Stimme. »Herzlich
willkommen in Raskawien.« Den Prinzen beachtete er gar nicht. Adelaide entzog ihm
kühl ihre Hand und sagte: »Vielen Dank, Graf Otto. Ich habe von Ihren Taten als
Jäger gehört. Ich freue mich darauf, mehr über die Vögel und Tiere der Wälder
Raskawiens zu erfahren. Wenn überhaupt noch welche übrig geblieben sind«, sagte
sie zu Becky gewandt, »aber das Letzte übersetzt du lieber nicht.«
Graf Otto funkelte sie an und brach dann in Gelächter aus.
»Ein englischer Zeisig«, brüllte er. Bei jedem anderen mit kleinerem Wuchs hätte
man diese Lautstärke als ungehörig angesehen, aber bei ihm schien sie natürlich. Er
war einfach nicht für das Leben in geschlossenen Räumen geschaffen. Becky dachte,
man wäre gut mit ihm ausgekommen, wenn er auf der gegenüberliegenden Seite
eines Tals gestanden hätte. Der Prinz fühlte sich offenkundig nicht wohl, doch
Adelaide war noch nicht fertig.
»Haben Sie mit Ihrer Armbrust schon einmal einen Zeisig geschossen, Graf Otto?«
»Oh, auf Zeisige schießt man nicht! Man fängt sie mit Vogelleim und sperrt sie in
hübsche Käfige!« »Dann müssen Sie wohl an einen anderen Vogel gedacht haben«,
erwiderte sie. »Englische Vögel lassen sich nicht einsperren. Und Adler fängt man
auch nicht mit Vogelleim.«
Während Becky übersetzte, beobachtete Adelaide den Grafen mit schnippischer
Miene. Der Prinz schaute gerade nicht hin, da er mit dem Erzbischof sprach, aber Jim
war in der Nähe und ebenso der König und beide lauschten.
Kaum hatte Becky alles übersetzt, da lachte der alte Mann so laut, dass sie beinahe
fürchtete, er könnte ersticken.
Graf Otto lachte sein dröhnendes Piratenlachen. Unter seinem Schnurrbart blitzten
weiße Zähne. »Sie haben noch mit vielen Gratulanten zu reden«, sagte er. »Darf ich
mich empfehlen, liebe Cousine?« Er verneigte sich und drehte ihr den Rücken zu.
Und so verging der Abend. Immer neue Gratulanten traten vor Adelaide und wurden
ihr vorgestellt, worauf sie mit einem Lächeln und einem freundlichen Wort zu
antworten
hatte.
Nachdem
sich
der heimische Adel
und
die
ausländischen
Botschafter vorgestellt
hatten,
kam
die Reihe an
die niederen
Ränge:
die
Hofbeamten und Notabein, die mit der Verwaltung des Landes betraut waren. Einer
nach dem anderen traten sie vor, verbeugten sich, lieferten ihren Glückwunsch ab
und gingen. Becky wurde allmählich schwindelig; der
Weitere Kostenlose Bücher