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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Grün-Gelber sich
durch die Menge drängten und Adelaide wie eine Eskorte in die Mitte nahmen. Sie
schlossen die Reihen und drängten die Menge zurück, damit Adelaide Raum bekam.
Und sie ging weiter. Schon tat sie die ersten Schritte über Pflastersteine, vor ihr die
alten Häuser an der Ecke des Platzes, dahinter die steinerne Brücke. Der Einsatz war
klar: Wenn es Adelaide gelänge, die Adlerfahne bis hinauf auf den Felsen zu tragen,
dann würde Raskawien ein freies Land bleiben. Dagegen stand die Möglichkeit, dass
jeden Augenblick ein anderer Attentäter oder derselbe mit einer zweiten Kugel auf
sie wartete. Auch das schiere Gewicht der Fahne und die Schwierigkeit, eine drei
Meter sechzig
lange Stange samt
viereinhalb
Quadratmetern
Seidentuch
zu
balancieren,
sprachen
gegen
den
Erfolg.
Rudolf
war
eigens
für
diese Aufgabe
unterwiesen worden und hatte das Fahnentragen geübt, sie nicht. Und da war das
Entsetzen, das sie ergriffen hatte, als ihr Ehemann tödlich getroffen neben ihr
zusammengebrochen war ... Der Graf hatte seine Pistole gezogen. Karl von Gaisberg
näherte sich Becky und fragte leise: »Wo ist Jim?« »Man hat versucht, ihn im Schloss
festzunehmen. Ich weiß nicht, ob er entwischen konnte.«
Er pfiff leise. »Ob sie es schafft?«
     
»Wer weiß. Aber für den Versuch wird sie ihr Leben geben.«
     
»Hoffentlich nicht ...«
    Er nahm wieder seinen Platz an der Spitze der Eskorte ein. Becky schloss zu Adelaide
auf, die ihr einen stolzen, wenngleich angstvollen Blick zuwarf. »Rudi?«, fragte sie
gequält. Becky schüttelte nur den Kopf.
»Ich schaffe das nicht, Becky«, flüsterte Adelaide. »Ich schaffe es nicht ...«
    »Doch, du schaffst es«, ermunterte sie Becky. »Mach eine Pause, wenn du nicht
mehr kannst. Ruh dich so lange aus, wie du willst. Aber du schaffst es.« Adelaide
hielt an, aber nur um das Gewicht von einer Hüfte auf die andere zu verlagern.
Hunderte angstvoller Gesichter drängten sich um sie, mit großen Augen und offenen
Mündern, und dann rief plötzlich eine Stimme: »Ein Hoch auf die Königin!« »Ein
Hoch auf Adelaide!« Immer mehr Menschen stimmten in die Hochrufe ein und das
gab ihr Kraft. Sie hob die Fahne noch einmal an und ging weiter.
    Jim erreichte den Stephanusplatz, als die Prozession aus dem Domportal kam,
gerade noch rechtzeitig, um die Fanfare und den tödlichen Schuss zu hören und
Rudolf fallen zu sehen. Mitleid für den ermordeten König überkam ihn; Rudolf hatte
niemals nach der Krone gestrebt, doch als die Reihe an ihm war, hatte er sein Bestes
gegeben und die Last geschultert. Jim hielt es für gewiss, wenn Rudolf gewusst
hätte, was auf. ihn zukommen würde, hätte er trotzdem ohne Zögern seine Pflicht
getan.
    Adelaide hatte immer an ihn, den armen Narren, geglaubt, und Jim war immer
beeindruckt, wenn Menschen, die von Natur aus keine Draufgänger waren, der
Gefahr nicht auswichen.
    Er sah, wie Adelaide die Fahne hochhielt; ein Athlet hätte das nicht besser machen
können. Dann fiel ihm noch etwas auf, und da er im selben Augenblick den Streit
voraussah, den es unweigerlich geben würde, wenn nicht alles nach Vorschrift
ausgeführt wurde, drängte er sich die Stufen zum Dom hinauf, sagte etwas zum
Erzbischof und nahm die Krone an sich. Niemand hatte bemerkt, dass der eiserne
Reif von Rudolfs Haupt gefallen und in die Gosse gerollt war. Es wäre aussichtslos
gewesen, sich mit dem Erzbischof einen Weg über die Brücke bahnen zu wollen,
deshalb nahm er den Kirchenmann beim Arm und winkte, mit der Krone in der
Hand,
einen
Rittmeister des
Husarenregiments
heran.
Die Augen
des
Mannes
verengten sich, er griff nach dem Säbel - aber dann begriff er und stieß zu ihnen.
Gemeinsam brachten sie den Erzbischof die Treppe hinunter, bogen um den Dom
und eilten zur Fähre am Flussufer.
    Es war ein flacher, leckender Kahn, der mit einem über dem Wasser hängenden
Stahlseil
von
einem
Ufer zum
anderen
gezogen
wurde.
Jim
hatte dem
alten
Fährmann schon öfter bei der Arbeit zugesehen. Es sah leicht aus, doch tatsächlich
setzten Jim und der Rittmeister ihre ganze Kraft und der Erzbischof seine Gebete
ein, um den Kahn zu bewegen, der dabei wild hin und her schlingerte.
    Jim schaute flussaufwärts, sah das Gedränge entlang dem Brückengeländer und
fragte sich, ob Adelaide vor ihnen oben auf dem Felsen ankommen würde. »Kräftig
ziehen!«, rief er. »Hau ruck!«
    Über die Köpfe der Menge ragten die Statuen der Brückenheiligen empor. An jeder
hing eine Traube kleiner

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