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Das Banner des Roten Adlers

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Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Sprüngen
nach. Becky zog ihr Tuch enger um die Schultern und schaute ihm nach, bis seine
Gestalt im Dunkel der Nacht verschwunden war.
    Geduckt huschte Jim über die Wiese. Er brauchte jetzt nicht so vorsichtig zu sein,
denn Wind war aufgekommen, der Wolkengeschwader vor dem hellen Leuchtfeuer
des
Mondes
vorübertrieb
und
die
fernen
Bäume
aufpeitschte.
Jim
folgte
den
Frauengestalten vor ihm -die eine wirkte nervös und hastig in ihren Bewegungen,
die andere setzte leichtfüßig über den unebenen Boden.
    Beunruhigt stellte er fest, dass sie sich in die Ecke des Parks bewegten, aus der er
den
grässlichen
Schrei
gehört
hatte.
Die Orientierung
fiel
schwer,
denn
die
Baumgruppen ähnelten sich und das Gelände hob und senkte sich verwirrend. Doch
in dieser Nacht schien der Mond und erhellte alles ringsum, ein Irrtum war ausgeschlossen.
    Auf jeden Fall bewegte sich Frau Busch, die die Führung übernommen hatte, ein
wenig nach links in Richtung auf die Brücke im italienischen Stil, die das andere Ende
des Sees überspannte. Jim wusste, dass er sich über einen künstlichen Wasserfall in
eine
romantische Schlucht
ergoss.
Auch
die Schlucht
war
von
Menschenhand
angelegt, mit Zedern an den Rändern, der Ruine einer Kapelle und einer Grotte als
Abschluss. Die beiden Frauen folgten dem Wasserlauf in das Tal bis zum Eingang der
Grotte.
    Im Mondlicht sah der Ort unheimlich aus. Schon bei Tageslicht wirkte er nicht ganz
geheuer,
wie
Jim
von
einem
nachmittäglichen
Spaziergang
wusste.
Er
mochte
Grotten im Allgemeinen nicht, fand ihre Muscheln und grotesken Verzierungen
hässlich, die Luft darin feucht und stickig.
Diese hier aber war besonders abstoßend. Der Eingang hatte die Gestalt eines
efeuumrankten Riesenmauls. Darüber glotzten Stielaugen den Betrachter von oben
an. Der ganze Felsen ringsum war mit Reliefdarstellungen von Schlangen, Fröschen,
Eidechsen und Kröten übersät, die alle aussahen, als träten sie aus dem Stein selbst
hervor. Als die Wolkendecke für einen Augenblick aufriss und das bleiche Mondlicht
durchdrang, gaben die grauen und dunklen Schatten der Szene das Aussehen einer
Illustration für ein Groschenheft mit einem reißerischen Titel wie »Die unheimliche
Höhle oder ein Mörder sucht sein Opfer«. Er duckte sich in den Schatten der
efeubewachsenen Mauer der falschen Ruine und sah, wie die Frauen an dem Pfad
neben dem Wasserlauf stehen blieben. Frau Busch bückte sich in das Schilf hinab
und zog an einer Leine. Ein schmaler Kahn, der vor Feuchtigkeit glänzte, erschien an
deren Ende. Die alte Frau kletterte rasch hinein, die Schauspielerin folgte ihr mit
behändem Schritt. Sie setzte sich, während Frau Busch
die Ruder nahm. Eine
Streichholzflamme leuchtete auf und wurde zum ruhigen Schein einer Laterne in der
Hand der Schauspielerin. Dann fuhren sie los und nur wenige Augenblicke später
erfasste die Strömung den Kahn und zog ihn in die Höhle hinein.
    Jim lief fluchend die Böschung hinab. Unten am Ufer war von dem Kahn nichts mehr
zu sehen. Der große dunkle Rachen der Grotte gähnte ihn höhnisch an. Schwarzes
Wasser floss leise hinein und spiegelte das Mondlicht in silbernen Wirbeln und
Kreisen. Was sollte er jetzt tun?
    Er musste ihnen nach, das war klar, aber an ein Boot hatte er nicht gedacht. Er folgte
dem Pfad am Wasser entlang bis in die Grotte hinein. Die vorderste Kammer war
durch das einfallende Mondlicht schwach erhellt, doch sobald der Pfad unter einem
Gewölbe hindurchführte, wurde es stockdunkel. Während das Sausen des Windes
nur noch schwach zu hören war, wurde das Plätschern des Wassers, das sich an der
Decke und den Wänden brach, deutlich lauter. Der Boden unter den Füßen war nass
und uneben. Sicherlich war der Pfad schlammig und wahrscheinlich gefährlich, denn
das Wasser floss nur wenige Zoll daneben vorbei. Er drang in die Dunkelheit vor. Er
hätte gern ein Streichholz angezündet, wollte sich aber nicht verraten. Unter allen
verrückten Sachen, die man anstellen konnte, war es wahrscheinlich der Gipfel der
Verrücktheit, in dieses grässliche dunkle Loch zu klettern. Wenn er sich nun verirrte wenn sich der Tunnel verzweigte und er es gar nicht merkte ...
    Bleibe immer mit einer Hand an der Wand, dachte er. Die Wand war schmierig und
kalt und einmal bewegte sie sich auch. So erschrocken war er über die Kröte, dass er
einen Schrei ausstieß und beinahe ins Wasser gefallen wäre. Aber wenn er den
ganzen Weg über eine Hand an der Wand behielt, würde er sich nicht

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