Das Beben
tödliche Feinde, die Panther, die sich, so versicherte mir Gopalakrishnan Singh, von Hunden geradezu ernährten. Näherte sich ein Panther, war der Hund verloren. Selbst angriffslustige und wohlgenährte Hunde wurden in der Gegenwart eines Panthers von einer Panik ergriffen, die sie lähmte. Der Monsun-Palast hatte auf diese Weise schon zweimal einen abgerichteten scharfen Wachhund verloren, der sonst Furcht und Zittern um sich verbreitet, beim Zubiß des Panthers aber stillhielt und nur angstvoll winselte wie unter einer über jedes Lebewesen verhängten gerechten Strafe.
Das Heulen der Hunde verband sich für mich mit der Vorstellung von der Austreibung der Fledermäuse aus dem kleinen Badekabinett im Alten Fort. Ich sah Goyas Radierung vor mir: »El sueño de la razón produce monstruos«, bei der ein Mann mit dem Kopf auf sein Manuskript gesunken ist und schläft, während sich aus der nächtlichen Tiefe ein Schauderstrom von Nachtgeflügel in die Lüfte ergießt. So stellte ich mir den Auszug der Fledermäuse aus dem Badekabinett vor, die dem beizenden Rauch der Räucherpfanne zu entkommen suchten. Ich hörte geradezu das Rauschen der feinen Hautflügel, ein Klatschen und Schwirren wie von breiten Bändern aus dünnem Gummi, ein drängelndes Schwärmen, einen Erguß von schwarzen Flügeln, als schieße ein dik-ker Tintenstrahl aus der niedrigen Tür. Das war eine lustvolle Vorstellung. Das stinkende Nachtgelichter floh gleichsam auf ein einziges wirkungsmächtiges Wort hin.
Im Alten Fort ließ ich mich am nächsten Morgen – der eigentlich schon Mittag war, denn die Hunde hatten mich in ihrer Mondanbetung lange nicht schlafen lassen – zu der Mauer und der engen Treppe führen, über die man zu dem Badekabinett hinabstieg. Verabredet war ich nicht. Die Aufforderung, dort unten zu helfen, hatte ich nicht ganz ernst genommen, aber nun lockte mich das innere Bild des vertriebenen Fledermausschwarms und vielleicht auch die verhohlene, schadenfrohe Neugier, was Iris nun allein in der dreckverkrusteten Kammer ausrichtete. Dieses Drecks Herr zu werden war eine geradezu mythische Aufgabe. Von oben schon sah ich zwei kleine Jungen mit beinahe blankgeschorenen Köpfen und nackten Füßen vor der geöffneten Holztür kauern. Eimer standen dort, ein kleines Mädchen mit Beinen, dünn wie Stöckchen, balancierte einen weiteren Eimer auf dem Kopf und setzte ihn behutsam ab. Ein schwarzes Gummikabel lag über den Stufen. Hätte ich es schon vorher bemerkt, hätte es mich aus dem Corps de logis des Forts bis hierher geleitet. Ich bückte mich und sah durch die niedrige Tür.
Innen herrschte das strahlende Licht einer von Eisenstäben geschützten Arbeitslampe. Iris kauerte auf dem Boden. Sie trug in der Hitze des kleinen Raums nur ein dünnes rosa Hemd, das einen großen Ausschnitt hatte und die Arme nackt ließ. Ich staunte, daß sie überhaupt nicht das Bedürfnis zu haben schien, ihren schönen, reinlichen Körper vor dem übelriechenden Unrat in diesem Loch zu schützen. Das Gröbste allerdings war schon hinausgeschafft. Der Boden war mit weißen Nesseltüchern bedeckt. Dicke Kunststoff- und Glasflaschen standen herum, aus ihren Hälsen stiegen chemische und alkoholische Essenzen, Aceton und Terpentin ließen den Fledermausgeruch nur noch schwach durchdringen. Vor sich hatte sie eine offene Bestecktasche mit Pinzetten, Spachteln, Schabern, kleinen Messern und dergleichen blitzend vernickelten Instrumenten, Wattebäusche und saubere Lappen lagen zur Hand. Das Räumchen war zum Operationssaal geworden. Es ging zu, wie wenn ein dreckstarrender Landstreicher ins Krankenhaus eingeliefert wird. Pflegerinnen von einer Reinlichkeit, die der gröbste Schmutz nicht beeinträchtigen kann, schneiden ihm die Lumpen vom Leib, waschen den schwärenbedeckten Körper, rasieren und verbinden den Mann, der nach kurzem in einem frisch bezogenen Bett liegt, als sei dies sein natürlicher Aufenthaltsort und als habe er nicht noch gestern über dem Entlüftungsgebläse eines Kaufhauses geschlafen. So wurde auch hier nicht einfach geputzt, sondern eine Wiedergeburt eingeleitet.
Wie gut die engstehenden Augen und die gebogene Nase des Mädchens zu seiner Tätigkeit paßten. Unerschrocken und scharf richtete sich ihr Gesicht auf den unmittelbar vor ihr liegenden Fall, der sich ihrem durchdringenden Blick vergeblich hinter Schmutzschleiern zu entziehen suchte. Iris strahlte, als sie mich wahrnahm, vielleicht weniger aus Freude, nun gerade mich
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