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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Marmorstaub, vielfältig abgeschliffen.« In Weiß waren Pflanzenranken in das schwarze Feld gesetzt, sie sahen aus wie Steinintarsien. Auch auf dem Boden waren winzige Flecken wie durch ein Wunder von dem scharf stinkenden Unrat freigeblieben. Eine Marmoreinlegearbeit konnte man ahnen. Die Überraschung aber: ein Band kleiner Bilder etwa einen halben Meter über dem Fußboden. Winzige Menschlein mit köstlichen Turbanen, kleine halbnackte Damen mit großen Augen, durchsichtigen Schleiern und großen Ringen in einem ihrer Nasenflügel, kleine Zelte, kleine Rösser, von nadelgroßen Lanzen erlegte, spatzengroße Tiger, Papageien und Elephanten, in deren Sänften vollendet schöne Damen und Herren saßen, reihten sich in zarten und wohlerhaltenen Farben aneinander. Iris ließ ihren Lampenstrahl auf einem nackten kleinen Mann mit juwelengeschmücktem Turban ruhen, der auf gestickten Polstern lag und eine halbverschleierte Dame mit den gespreizten Händen einer Tänzerin auf seiner Leibesmitte reiten ließ.
    »Dies ist ein Anblick für reife Personen«, sagte Purhoti ernst. Der verstorbene König mochte dergleichen gar nicht. Der Geschmack der Monarchen war starkem Wandel unterworfen.
    »Wir haben auf dem Thron von Sanchor alle Spielarten erlebt. König Laxman Singh verließ seinen Harem nie, und König Gopal Singh betrat ihn nie. König Shivindra Singh aß täglich zwölf Kilo Fleisch, und König Gopalakrishnan Singh aß beinahe nichts.«
    Ich stand nah neben Iris. Der Gestank war jetzt weniger bedrängend, ich erlebte aufs neue, wie schnell ich mich an etwas Abstoßendes gewöhnen konnte. Es gelang mir sogar, aus der Wucht des Fledermausgeruchs den Geruch von Iris herauszulösen. Sie trug dasselbe Schwarz wie gestern, ihre Reisekleider, in denen sie eine lange Fahrt zurückgelegt hatte. Vermutlich ahnte sie, was sie erwartete, und wollte den Dreck in getragenen Sachen durchwaten. Ich muß über mich lächeln, wenn ich jetzt niederschreibe, was ich da von ihrem Körper herausspürte: etwas Nussiges. Das ist ein richtiges Delikatessenverkosterwort. Wein, Schinken, Austern, Käse, Tee und Honig, alles kann bei diesen Herrschaften »etwas Nussiges« haben. Eine unangenehme Konnotation ist das jedenfalls nicht, eher eine appetitanregende. Das Fett der Nuß ist etwas Edleres und Schlankeres als Speck und Butter und Öl.
    Wir richteten uns auf, ich tat es mit Bedauern, so schön war es, mit ihr in das dunkle Loch zu gucken und Zierlich-Entzückendes allmählich aus dem Schmutz hervortreten zu sehen.
    »Die Decke muß den Rechnungen nach vielfach verspiegelt sein«, sagte Purhoti. Von den Glitzerspiegelchen in Rosen- und Rankenmustern hatten wir nichts erkennen können, die Krällchen der Fledermäuse hielten sich an den Stegen zwischen den Spiegelsplittern fest und verdeckten alles.
    »Es war eine kleine Luxusschachtel«, sagte Iris. »Aber wie werden wir die Fledermäuse los?«
    Purhoti rief den zahnlosen Greis. Sie berieten lange, der Alte mit den Schreien des sprechungewohnten Schwachsinnigen, Purhoti mit grausamer Genauigkeit und Gedämpftheit.
    »Wir werden sie ausräuchern«, sagte er schließlich zu Iris.
    »Aber ich bitte Sie, in dem Raum kein Feuer zu machen«, antwortete sie eindringlich. »Nur eine Räucherpfanne aufstellen – am besten sollten Sie zugegen sein. Und niemand darf den Raum danach putzen, solange ich nicht die Anordnung dazu erteile. Ich will erst eine Bestandsaufnahme machen. Man schlägt beim Putzen oft mehr kaputt als beim Schmutzigmachen.«
    Sie sprach schnell und entschieden. Purhoti sah unbeteiligt, als verstehe er sie nicht, in eine andere Richtung. Spürte sie nicht, daß sie ihm keine Anweisungen zu geben hatte? Im Kosmos seiner inneren Bilder ruhte auch dies Fledermauszimmer, so wie alle Zimmer des Alten Forts, die verschlossenen und die offenen, die verwahrlosten und die halbwegs bewahrten. Niemand konnte ihm über diese Zimmer etwas Neues sagen. Seine Rache war fein. In den nächsten Tagen war er unauffindbar. Wenn diese Frau in Hosen im Alten Fort befahl, gedachte er nicht Zeuge zu sein.
    »Wenn Sie den Dreck aus diesem Zimmer und von diesen Malereien entfernen, entfernen Sie das Indische davon«, sagte ich zu Iris, als wir über die breite Rampe zu Tal stiegen, um durch die Stadt zum Palast zurückzuschlendern. Ein Haufen kleinerer und größerer Jungen stand am Tor des Alten Forts und glotzte Iris stumm an. Ein kahlgeschorener Junge nahm seinen Mut zusammen, trat vor und sagte mit

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