Das Beben
herausfordernder Stimme: »Where are you coming from?«
Wir antworteten nicht. Die Jungen wichen unseren prüfenden Blicken nicht aus.
»Wenn Sie nicht den Wagen nehmen, wird dieser Haufen uns durch die ganze Stadt folgen«, sagte ich. Sie trug heute Sandalen, ihre Füße waren nackt und braungebrannt. Sie hatte keinerlei Bedenken, mit ihnen durch den Straßenschmutz zu gehen.
»Der allgegenwärtige Staub«, sagte ich, »wie Mehl. Er macht die Füße unsichtbar beim Laufen, hüllt sie in Wolken. Trockener Dreck, verkrusteter Dreck, Dunstschwaden, Rauch, Fettschwaden, juckender Staub. Staub, der wie aus einem explodierenden Bovist in Puderwolken aufsteigt. Das Bräunliche, das über allem liegt. Sie als Restauratorin sind doch wahrscheinlich eine Feindin des gelblichen Galerietons, der vergilbten Lasuren auf den Ölgemälden des 19. Jahrhunderts. Von Indien können Sie diesen gelb-bräunlichen Ton mit keinem Lösungsmittel der Welt entfernen. Er ist den Farben eingeschmolzen. Das Wichtigste: Auch das Saubere hier ist schmutzig. Oder vielmehr: Nichts, auch das Frischgewaschene, kann hier sauber werden. Der Kampf gegen den Dreck wird mit Muskelkraft geführt. Sie hören morgens die regelmäßigen Schläge, als werde Holz zerkleinert. Das sind die Wäscherinnen, die das wenig befeuchtete und eingeseifte Wäschestück eine halbe Stunde lang mit Wucht auf den Felsen schlagen, um den Dreck aus ihm herauszuprügeln. Über aller weißen Wäsche liegt ein Grauschleier; man könnte auch sagen, das Weiß ist gebrochen, es ist malerisch geworden. Weißer Marmor in Hotels und Flughäfen ist hier von schmalziger Schmierigkeit und talgigem Glanz. Auf dem Boden der Straßen, die wir durchqueren, steht der Schlamm von Seifenlauge, Blut, Urin, Tier- und Menschenunrat, zertrampelte Abfälle, Rotz, ausgespieener Betel, Schleim. Die Fingernägel der meisten Leute sind schwarz oder gelb, oft auch abgekaut. Die Frauenhände mit ihren Hennamustern sind wie in die eigene Menstruation getaucht. Alles Milchige schmeckt penetrant körperlich, wie Muttermilch, und bleibt als zuckriger Körpersaft lange auf der Zunge. Kein Haus kann ordentlich weiß gekälkt sein, ohne Flecken, ohne Schlamperei, kein Mauerwerk ohne Schwamm, Pilz, Moder, auch neue Gebäude sind davon alsbald befallen. Der organische Verfall schafft Alterslosigkeit, denn die kuhstallhafte Gärung läßt Alt und Neu gleich aussehen. Hier der dekorative Erfrischungswagen mit seinen Girlanden aus welkgequetschten gelben Nelken, seinen Pyramiden aus Eiern und Tomaten, den Schüsseln mit gehackten Zwiebeln, den rot hervorzüngelnden Chilischoten – die Gläser für Wasser und Tee sind so verkrustet, daß Sie auch als Verdurstende davor schaudern würden. Vor allem aber das Schmierige, gerade auch an den heiligen Orten: Ruß, Butterfett, Kokosöl, schmieriges Messing, schmalziges Silber.«
»Das Badezimmer muß so gereinigt sein, daß man es photographieren kann«, sagte Iris, die ihren eigenen Gedanken nachhing, »Sie könnten mir eigentlich gut ein wenig helfen.«
8.
Liebe »en miniature«
Als ich nachts aufwachte, heulten hundert Hunde zu Füßen des Palastes. Weiches, helles Licht fiel ins Zimmer. Es war Vollmond. Nur bei seinem Schein gelang es den räudigen gelben Hunden, die so geduckt einherschlichen, wenn sie einen Menschen sahen, sich zu jenem Wolfsrudel zu vereinen, das ihrer Herkunft eigentlich entsprach und das sie stark gemacht hätte. So gebrochen und heruntergekommen sie waren, gelang ihnen bei Tageslicht nur eine schwächliche Feindseligkeit, ein böses, aber zahnloses Knurren, manchmal auch ein kleiner Kampf, aber nur wenn einer von ihnen mit Sicherheit der Stärkere war. Mit Rührung sah ich aber die Hundemütter, die sich im Straßenschmutz ausgestreckt hatten und drei oder vier Welpen an ihren Zitzen saugen ließen. Die Welpen wußten noch nicht, was gespielt wurde. Sie erlebten die Welt noch als Schutz- und Nahrungsspenderin, aber die Mütter hielten ihren zerknirschten und beschämten Blick auf die Vorübergehenden gerichtet, als wollten sie Abbitte für ihre familiäre Schamlosigkeit leisten; sie wußten selber nicht, wie sie in die verzweiflungsvolle Lage geraten waren, so viele kleine Mäuler satt machen zu müssen, während es ihnen doch kaum gelang, das eigene Leben zu fristen. In dem kahlen weiten Feld um den Neuen Palast herum waren es die Hunde, die den Pfauen den Garaus machten, aber hier oben auf der Hochebene des Monsun-Palastes hatten sie
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