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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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zu sehen, als überhaupt einen Zeugen ihres Erfolges zu haben.
    »Es geht ein bißchen langsam«, sagte sie, »aber die Malerei ist erstaunlich gut erhalten. Ich bin überzeugt, daß dies hier niemals eine Badestube gewesen ist, denn es gibt nicht die leisesten Anzeichen für Wasserschäden in der Malerei, die ja ganz unvermeidbar wären. Das Zimmer war immer trocken wie ein Pulvermagazin, und im Boden gibt es auch keinerlei Abfluß.«
    Sie zog ein wenig von dem weißen Stoff beiseite. Ein reich intarsierter Boden, wie wir es nur hatten ahnen dürfen, wurde sichtbar. Aus weißem, schwarzem, rotem und gelbem Marmor waren Blüten und Ranken, die aus Vasen hervorwuchsen, in den Boden eingelassen. Iris war dabei, die Wände zu reinigen. An den Fries mit den Miniaturen hatte sie sich noch nicht gemacht, der war ihr zu delikat, obwohl doch gerade diesem Fries später die eigentliche dokumentatorische Aufmerksamkeit gelten sollte. Aber ein halber Quadratmeter des schwarzen Stucco lustro mit den weißen Kandelabern und Vasen schimmerte schon wie frisch gewachst.
    »Ich würde den Dreck am allerliebsten nur herunterpusten«, sagte sie voll Eifer. Die Reinigungsessenzen trügen die Gefahr in sich, den polierten Glanz wegzuätzen. Sie tupfte denn auch vor allem mit einem dicken Pinsel, etwas starrer als ein Rasierpinsel, auf die Wand und versuchte, die Krusten über dem Stuck zu pulverisieren und dann wie Puder wegzuwischen. Gelegentlich war ein lindes Reiben mit getränkten Wattetupfern und sogar angehaltenem Atem aber nicht zu vermeiden.
    »Sie dürfen sich der Decke widmen, da können Sie am wenigsten kaputtmachen«, fuhr sie fort, ohne mich weiter anzusehen. »Aber ohne Gewalt. Kein hausfrauliches Wischen und Scheuern. Sie tupfen die Decke zuerst sorgfältig mit dieser weichen Bürste ab und reiben dann die einzelnen Spiegelscheiben ganz sanft mit einem feuchten Wattebausch ab.« Es sei damit zu rechnen, daß einzelne Spiegelstückchen lose säßen, wenn da rabiat herumgescheuert würde, hocke sie hier auf dem Boden bald in einem Regen aus Spiegelscherben.
    »Was mit diesem Raum geschieht, wenn er gereinigt und photographiert worden ist, steht ohnehin in den Sternen.«
    Die Kinderaugen draußen durchbohrten mich, während ich meine Jacke auszog und zu Iris hineinkroch. Warum war es so heiß in diesem tiefgelegenen Gemäuer? Es war, als steige man in den Maschinenraum eines Schiffes.
    Die Decke war so niedrig, daß ich aufrechtstehend, wenn ich mich nur ein wenig reckte, mit dem Scheitel an sie stieß. Vier starke Eisenringe waren in sie eingelassen.
    »Daran war eine große Schaukel befestigt«, sagte Iris, »eine Schaukel, die mit Kissen und Matratzen ein einziges hängendes Bett war. Wer auf diesem Bett lag, blickte in das Spiegelgeglitzer hinauf wie in den Himmel.«
    Welch ein Umschwung im Geschmack der Könige! Solange sie das Leben ihrer Untertanen noch ganz in der Hand hielten, hatten sie sich in winzige Zellen eingeschlossen, aber seitdem sie, zunächst englisch, dann republikanisch entmachtet worden waren, konnten die Säle nicht mehr hoch und groß genug sein. Gab es hier kein Fenster?
    »Das Fenster ist zugemauert«, sagte Iris, »früher muß man aus diesem Zimmer weit über das Land geblickt haben, aber ich glaube, diese Aussicht ist jetzt verbaut. Mir scheint, sie haben in diesem Schwalbennest einen Anbau angestoppelt, der das Zimmer zu ewiger Dunkelheit verdammt.«
    Ich begann, mit der mir lässig von Iris heraufgereichten Bürste an die Decke zu tupfen. Die gesamte Decke war mit einem großen Teppichmuster aus mandelförmigen, quadratischen und halbmondförmigen Spiegelstückchen überzogen. Manche der Scherben waren festgekittet, andere wackelten leise, wie von Iris angekündigt. Es würde ein sehr unbequemes Arbeiten sein, hier im heißen Halbdunkel mit zurückgeworfenem Kopf, und jede Scherbe einzeln behutsam sauber zu reiben.
    »Vorsicht. Sie treten mir auf die Fersen«, sagte Iris ungehalten. Platz war keiner da. Wenn zwei sich in diesem Gemach aufhalten sollten, mußten sie sich gut verstehen.
    Blütenblatt für Blütenblatt weckte ich den Glanz des Silbers wieder auf. Das Spiegelglas in diesem Gemach war dick wie Steintäfelchen. In dem Silber war etwas Bleigraues, das dem reflektierten Bild eine weiche Flüssigkeit verlieh. Der Schweiß rann mir in Bächen den Hals hinab, mein Hemd war dunkel auf Brust und Rücken.
    »Ziehen Sie es doch aus«, sagte Iris, ohne sich von ihrem metikulösen

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