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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Verbindung, während die Familienmitglieder sich mit leisen Stimmen, um das Gespräch des Königs nicht zu stören, einzelne Worte zuriefen. Mein Gefühl, die drei Deutschen hätten sich nach ihrem Aufbruch ins Bett aus den Augen verloren, trog mich übrigens nicht. Der Minister hatte sich geweigert, im Haus zu schlafen. Er wolle nicht im Traum erschlagen werden, sagte er gereizt zu Iris, obwohl es nur während des Essens noch einmal milde gerumpelt hatte, was die Bewohner des Palastes schon kaum mehr als durch ein wissendes Nicken registrierten. Also schliefen Vater und Sohn im Auto, womit sich ihre zerraufte Erscheinung erklärte. Wo aber lag Irisens Schlafzimmer?
    »Dort oben.« Sie zeigte auf ein rundes Fenster im zweiten Stock. Auf welcher Treppe gelangte man in dieses Stockwerk? Ich verstand die Architektur des Hauses weniger denn je.
    Mehrfach hatte ich das Alte Fort inzwischen unter Führung Purhotis und des Königs betreten, und immer noch gab es auch hier etwas Neues zu sehen. Iris bat mich und erwartete auch ganz selbstverständlich, daß ich sie und Purhoti begleitete, um jenen Raum, den sie nach den Regeln ihrer Kunst reinigen wollte, gemeinsam zu besichtigen. Wir durchquerten den großen Hof, wir stiegen die breite Rampe hinauf. Rasselnd wurde der zweite Hof aufgeschlossen, wir sahen die Freitreppe, die Galerien, die vielen mit schweren Vorhängeschlössern verriegelten Türen. Manche der Schlösser trugen Lacksiegel zur doppelten Sicherung, andere hingen unabgeschlossen in den Ösen. Wir stiegen eine enge Treppe hinab, die zwischen dem hoch aufragenden Wohnturm und der Festungsmauer in die Tiefe führte. Schutt lag auf unserm Weg, Ziegendreck und verfaulende Obstschalen, die offenbar aus großer Höhe hinabgeworfen worden waren, woher, konnte man von hier aus nicht erkennen, ich nehme an, der Wächter auf der Dachterrasse entledigte sich hierher seiner Abfälle. Die kleine Tür, die wir schließlich erreichten, war verrottet und hing schief in den Angeln, eine rostige Kette war unordentlich um den Riegel gewickelt, aber durch kein Schloß arretiert. Purhoti befahl dem zahnlosen Greis mit dem roten Riesenturban, der uns begleitete, die Kette zu lösen. Die Tür fiel uns beinahe entgegen. Iris hielt den Kegel ihrer Taschenlampe ins Finstere.
    »Vorsicht beim Betreten«, sagte Purhoti in seiner leidenschaftslosen Sachlichkeit. »Der Ort ist unsauber.«
    Wie soll man den Geruch von Fledermauskot beschreiben? Er ist widerwärtig und zugleich so speziell, daß es schwer ist, ihn mit etwas anderem zu vergleichen. Eine Art vergorener Weißbierdurchfall, das könnte eine Vorstellung schaffen. Hunderte kleine Fledermäuse, zusammengefaltet als winzige Regenschirme, hingen an der Decke der Kammer. Der Boden war mit den schleimigen frischen und den verkrusteten uralten Ausscheidungen der Tiere dick bedeckt. Ich mußte unwillkürlich wieder an ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht denken – eines, bei dem der Minister, als er es seinem Sohn vorlas, gewiß geschluckt hatte –: Der gefährlich zwischen Gerechtigkeit und böser Rachsucht schwankende Kalif Harun al Raschid verdächtigt darin seine Lieblingssklavin, ihn betrogen zu haben, weil er fremde Samenspuren im Bett gefunden hat, und nur der weise Wesir kann das Leben der Sklavin retten, als er entdeckt, es handele sich um Fledermaussamen. Ja, wir waren ins mächtig Ekelhafte hinabgestiegen, und was in dieser düsteren Kammer des Gestanks der Aufmerksamkeit von Miniatur-Liebhaberinnen wert sein sollte, war vorläufig nicht ersichtlich. Wir scheuten uns, in diese Fledermausgrotte einzutreten. Es wird Fledermäusen zwar nachgesagt, daß sie um Hindernisse virtuos herumflögen und niemals im Dunkeln gegen eine Mauer stießen, aber die Vorstellung, auf engstem Raum im Geschwirr von hundert aufgeregten Fledermäusen zu stehen, war beunruhigend.
    »Dies war ein Badekabinett«, sagte Purhoti, »es ist schon vom Großvater Seiner Hoheit nicht mehr benutzt worden. An diesem Teil der Mauer zogen sich ursprünglich drei Appartements königlicher Verwandter hin, die dann dem Bau dieser Kammer hier weichen mußten. Das Bad ist aus dieser Raumfolge als einziges übriggeblieben. Es ist vor etwa zweihundert Jahren restauriert worden, wir haben die Rechnungen der Handwerker im Archiv, mir scheint, damals seien auch Italiener beschäftigt worden.«
    Iris hörte nicht auf, die Wände abzusuchen. Schwacher Glanz lag auf ihnen. »Stucco lustro«, sagte sie, »ein Verputz aus

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