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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Koalitionen«, sagte der König, an dessen Miene nicht abzulesen war, ob das Gespräch ihn befriedigt hatte, nachdem er in seinen vollgestopften Wagen zurückgekehrt war.
    »Kommunismus ist eine Torheit, aber wenigstens keine Demokratie. Die größte Torheit ist die Demokratie.« Hatte er dieses Treffens wegen den Schillerkragen so weit um seinen Hals gebreitet? Als es mir, auf der einen Seite an den hochzeitlich seidenen Rajputen, auf der anderen an das zerkratzte Eisengestänge gepreßt, vor Erschöpfung gleichgültig geworden war, ob diese Fahrt jemals ende, kam es zu einem neuerlichen Halt.
    Unter einem kahlen Baum, der den Versuch aufgegeben hatte, sich aus dem mit tiefen Rissen craquelierten Wüstenboden zu ernähren, stand ein Mann, der Zeichen mit der Hand gab. Er versuchte, ebenfalls noch in den Jeep zu steigen. Als das nicht gelang – sich auf den Schoß des Königs zu setzen kam dann doch nicht in Frage –, stellte er sich auf das Trittbrett und hielt sich an der Eisenstange des Verdecks fest. Der Jeep neigte sich nach seiner Seite, blieb aber fahrbereit. Auf holpriger Erdpiste in dichten Staubwolken, die auch das Wageninnere füllten, kamen wir langsamer voran. Ich vermutete, daß dem König diese Staubwolke ins Konzept paßte. In Staubwolken hatten sich einst die Reiterheere der Rajputen voranbewegt, Staubwolken umhüllten ihre Attacken, Staubwolken vergoldeten das Licht und ließen die Heeresmacht doppelt so groß und doppelt so schön erscheinen. Die mythischen Schlachten der Vorzeit, in denen Dämonenheere aufeinander losgegangen waren, bestanden womöglich körperlich überhaupt nur aus Staubwolken, Staubwirbelstürmen und Staubwolkentürmen, die ineinanderwogten und sich heulend und pfeifend drehten, bis sie schließlich in sich zusammensackten und der unfruchtbare Boden sich mit Blüten bedeckte; das Dämonenblut, das vergossen wurde, verdunstete augenblicklich. Im Gelb der Wolke, in dem die kahlen Äste wie in Flammen erschienen, wurden jetzt die Umrisse eines niedrigen Hauses sichtbar, vor dem eine größere Schar von Männern stand, alte und junge.
    Wir wurden erwartet. Die Männer näherten sich ehrfurchtsvoll, als der König ausstieg, ehrfurchtsvoll. Sie verneigten sich und streckten die Hände nach seinen Füßen aus, andeutungsweise jedenfalls, und der König stand groß und würdig, beugte den kleinen, schönen Kopf und erwiderte die Begrüßungsgesten mit seinem bestrickenden Lächeln. Das Haus war ein Dakh-Bungalow, eine jener Postniederlassungen, mit denen die Engländer schon zur Zeit der East India Company das Land überzogen hatten. Es gab hier kahle Räume mit unbezogenen Betten, in denen man jedenfalls besser schlief als im Freien. Der König machte keinerlei Anstalten, seine Suite vorzustellen. Das war hier nicht üblich, seine Suite war austauschbar, wenngleich nicht unersetzlich, das war nur er selbst. In einem düsteren, nackten Saal mit Kachelboden und halb von den Stangen heruntergerissenen Gardinen war der Empfang vorbereitet. Die Männer waren so düster wie dieser Raum. Es war, als bereite sich eine schicksalsschwere Verhandlung vor, eine Vorbereitung gewaltsamer Taten. Als Erfrischung wurden Wasser, Nüsse, Rosinen und Mandeln in kleinen Aluminium-Näpfen angeboten. Mit seinen langen, dehnbaren Fingern ergriff der König eine Nuß. Seit sechs Stunden hatten die Männer, viele davon mit schwärzlichen, fettigen Krawatten und grau-gelb verschleierten weißen Hemden, auf diesen Augenblick gewartet.
    Der dünne Mann und der kleine Fahrer holten inzwischen Gepäck. Es war Zeit, sich umzuziehen. Der dünne Mann folgte dem König. Da ich seine Fertigkeit kannte, ahnte ich, zu welchem Behuf. Ich hatte einen leichten khakifarbenen Anzug dabei, den Gopalakrishnan Singh für geeignet erklärt hatte, leider ohne seinen Bruder zu fragen, der mit höflicher Offenheit erklärte, daß dieser Anzug ihm mißfalle. Es war vielleicht nicht der Anzug, der viel zu unspezifisch war, um regelrecht häßlich zu sein, als vielmehr der Turban, der mit diesem Anzug zusammen nun endgültig lächerlich aussah. Nicht nur mein Kopf, der mit seiner Rundbackig- und Rosigkeit schinkenartig in dem vielfarbenen Gewinde steckte, auch die Hemdbrust und die Krawatte bildeten keinerlei Gegengewicht zu dem aufgeblasenen Kopfschmuck. Mitten in der Sand- und Steinwüste, in diesem nur für den Empfang flüchtig hergerichteten, sonst als abgenagtes Gerippe dastehenden Dakh-Bungalow, dessen Nacktheit allerdings auch

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