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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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immerhin doch etwas. Mit den Menschen verhielt es sich ähnlich. Unbewohnbar war die Wüste, aber doch von recht vielen Menschen bewohnt. Stets lief da in der Ferne ein Mann mit einem Reisigbündel auf dem Kopf, das er wer weiß wo aufgelesen hatte, und die kleinen Städte, die wir an ihrem Rande streiften, armselige Ansammlungen nicht alter und nicht neuer Buden und Zelte, quollen stets über von Wagen und Menschen. In den Städten kam es meist zu einer Richtungsänderung. Dann lehnte der König sich aus dem Wagen, rief laut: »Barmer, Barmer« oder »Sirohi, Sirohi«, der Wagen verlangsamte seine rumpelnde Fahrt nur wenig, und die Leute am Wegesrand machten vieldeutige, wedelnde Handbewegungen, die der kleine Fahrer aber offenbar zu deuten verstand, denn er verfuhr sich nie.
    Waren wir noch im Staat von Sanchor? Ich glaubte inzwischen merken zu müssen, wenn ich dessen Grenzen überschritt, die durch keinen Posten und keine Barriere mehr angezeigt wurden. Groß war das Reich nicht. Ich hatte auf einer alten englischen Landkarte seine Lage genauer studiert. Im Süden grenzte es an das Land des Nawab von Barampur, des Maharawal von Dungarpor und des Maharadja von Darta, im Westen lag Chamnagar und im Osten Kotah. Im Norden lag ein großes Reich, das einstige Mewar mit der Hauptstadt Udaipur, wo der reiche Maharana in der Fülle seiner Riesenpaläste gar nicht wußte, wie viele Hotels er noch gründen wollte; dieser für Sanchor einst gefährliche Feind war jetzt wohl zum Vorbild des Königs geworden, wie es in gründlichen alten Feindschaften mit wechselvoller Geschichte nicht selten geschieht. Die Zeiten, in denen die Truppen von Mewar das Alte Fort berannten oder gar versuchten, Achalghar zu stürmen, waren mehr als zweihundert Jahre vorbei, ein lähmender Friede war eingekehrt, der nicht auf Liebe und Vernunft beruhte, sondern auf der geradezu dämonischen Aussaugung der kämpfenden Parteien, denen die körperliche Staatlichkeit abhanden gekommen war. So gesehen war der Frieden, von dem die Politiker so gern sprachen, überhaupt kein Wert an sich. Was für ein Frieden?, hätte Purhoti stets gefragt. Frieden aus Überwindung von Neid und Habgier – ein guter, wenngleich auf Dauer unmöglicher Frieden. Frieden aus Langeweile und Schwäche, ein möglicher Frieden, aber eine Vorstufe des Todes, oder vielleicht gar dessen Folge? Tatsächlich erwartete ich eine andere Art von Luft außerhalb Sanchors. Mußte man es den Menschen nicht anmerken, ob sie zu jenem unsichtbaren Körper gehörten, dessen Haupt der König war?
    Auf freier Strecke hielten wir an. Am Straßenrand stand ein Grüppchen jüngerer Männer, als warteten sie dort auf einen Bus. Der König stieg aus, bedeutete uns aber, im Wagen sitzen zu bleiben. Er ging allein auf die Gruppe zu. Ein junger, hochgewachsener Mann mit Schnurrbart und braunem Schal löste sich aus der Gruppe und ging langsam auf den König zu. Er begrüßte den Herrscher mehr als nachlässig, mit knappest angedeutetem Kopfnicken und flüchtigstem Aufeinanderlegen der Handflächen; nichts von dem betörenden, beglückten Lächeln, das ich von den Begrüßungen am Hof sonst kannte, erschien auf seinem Gesicht. Der junge Mann sagte wenig. Der König sprach leise und viel. Sie gingen langsam auf und ab. Die Miene des jungen Mannes war verschlossen. Die Eindringlichkeit des Königs wirkte werbend. Es war, als hätten wir diese inzwischen lange Fahrt nur gemacht, um hier an diesem staubigen Straßenrand dem jungen, abweisenden Mann zu begegnen. Der Abschied fiel mindestens ebenso knapp aus wie die Begrüßung. Wenn es ein Entgegenkommen des jungen Mannes gegeben hatte, bestand es, so vermutete ich, wohl vor allem darin, daß dies Gespräch überhaupt stattgefunden hatte. Ich sah den König hier auf gefährlichem Boden. Womöglich war an diesem Straßenrand von dem grundlegenden Konsensus, der jedem Gespräch vorangehen mußte, daß nämlich er der König sei, nicht viel übriggeblieben. Ich staunte, daß der König sich solchen Begegnungen aussetzte und daß er sie überhaupt ertrug. Die Gruppe der Männer wandte sich dem Zurückgekehrten unaufgeregt zu. Man hatte ohne Neugierde, geradezu ein wenig stumpf zum König hinübergesehen. Die Hautfarbe des jungen Mannes war von kräftigem Braun, deshalb war ich verblüfft, als ich von dem jungen Rajputen erfuhr, daß er der Sohn des blassen Purhoti sei, Student in Agra und Mitglied der kommunistischen Partei.
    »Die Zeit gebiert neuartige

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