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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Punkt überblickt, wird es unsichtbar sein? Wird das Hotel wie ein Golfplatz wirken? Oder soll der Rasen auf den Dächern wie grüner Schnee erscheinen?« Das waren mehr generelle Fragen, ich richtete sie nicht eigentlich an den Meister.
    »Grüner Schnee. Das ist der Ausdruck, den ich gesucht habe.« Er nahm einen unförmigen Zimmermannsbleistift, der zum Schreiben auf Papier gar nicht geeignet ist, und kritzelte mit ungefügen, hin- und herfallenden Linien die Worte »Grüner Schnee« in ein Oktavheft. Dann sah er mich unversehens mißtrauisch an. Würde ich für die Benutzung von »grüner Schnee« Tantiemen verlangen? Würde ich später durch die Welt laufen und jedermann erzählen, »grüner Schnee« hätte eigentlich ich und nicht der Meister erfunden? In seiner Ratlosigkeit fand er die Ausflucht sich totzustellen. Seine Augen wurden ausdruckslos, das Kinn fiel herunter, das Gesicht bekam etwas von einem vertrockneten Kuheuter. Dies war ein Zauberschlaf. Wenn er aus ihm erwachte, wäre die Welt erneuert, er und ich hätten beide vergessen, daß »grüner Schnee« von mir stammte.
    In das Schweigen näherte sich ein Paar. Mann und Frau blieben befangen im Türrahmen stehen. Sie trugen Wintermäntel und Schals und hielten zusammen eine große Tasche. Der Verlagsmann mit seiner Ausstrahlung eines von vielen Sorgen bedrückten Familienvaters war schon fern der Künstlerwelt gewesen, als Bücherverkäufer aber in immerhin gelegentlicher Berührung mit Literaten, er wußte, worauf er sich einzustellen hatte. Das eben eingetroffene Paar hingegen betrat zum erstenmal ein Künstleratelier, und das nun noch in hoher Mission. Der Mann war Subdirektor in der Marketingabteilung eines Autokonzerns, die Frau war seine Assistentin, eine bodenständige Bayerin, die gut auch Wirtin hätte sein können, so frisch und resch trat sie auf, und doch fühlte sie, daß hier Reschheit nicht am Platze sei, sondern Dämpfung des frischen Auftretens und Ehrfurcht. Beide hielten Visitenkarten in den Händen und streckten sie dem Meister entgegen, wie Städter mit Zuckerstückchen ein vielleicht doch plötzlich zubeißendes Pferd für sich einnehmen wollen. Der Meister erwachte nicht sofort. Er ließ die Karten in der Luft schweben, schlug dann die großen, tierhaften Augen auf und sagte, indem er auf den Küchentisch zeigte: »Legt sie halt da her, sie sind ohnehin für den Herrn Tofet. Sie werden kaum erwarten, daß ich mir Ihre Namen merke.«
    Er tat nichts, um den beiden ihren Auftritt zu erleichtern, obwohl er in seiner Zerstreutheit und Verschlafenheit genau instruiert war, was die Leute wollten. Sie flüsterten miteinander, während sie ihre Tasche gemeinsam auspackten. Schließlich hatten sie ein längliches schwarzes Kunststoffnetz in einem gerundeten Aluminiumrahmen hervorgeholt. Der Mann übernahm die technischen Erklärungen. Jedermann sei bekannt, daß den Insassen eines Cabriolets bei zurückgeschlagenem Verdeck das Haar vom Wind verstrubbelt werde. Dies Netz, über dem zusammengefalteten Verdeck mit einem einfachen Handgriff einzusetzen, leite den Wind ab, so daß man mit völlig unzerstörter Frisur den Wagen verlasse.
    Wollten sie das Netz dem Meister verkaufen? Besaß er ein Cabriolet? Reiste er nicht auf fliegenden Teppichen? Ein Cabriolet jedenfalls paßte überhaupt nicht zu ihm, schon eher ein Wohnwagen, in dem während der Fahrt Brei gekocht wurde. Und so war auch nicht er es, der etwas kaufen sollte, sondern das tuschelnde und unsicher lächelnde Paar. Das schwarze Plastiknetz erfüllte eine Funktion, es war nicht schön und nicht häßlich, es war ein nichtiger technischer Gegenstand, ebenso praktisch und unnötig wie beinahe alle industriellen Erzeugnisse. Aber es sollte mehr werden. Der Sturmwind im Haar war lästig, aber auch ein Zeichen für Lebenslust und Wildheit, und wenn er gebannt war, mußte etwas anderes an seine Stelle treten, das gleichfalls die einzigartige Köstlichkeit, im Cabriolet herumzubrausen, fühlen, ja Bild werden ließ. Das Paar erläuterte, sich ins Wort fallend und sich ergänzend, daß man in der Marketingabteilung auf einen Einfall gekommen sei, der »alle« begeistere, und in diese Begeisterung der vier oder sieben Personen, die mit »alle« gemeint waren, wünschten sie den Meister hineinzuziehen.
    »Wir stellen uns vor, auf dieses Netz eines Ihrer Gemälde zu drucken – damit geben wir jedem Cabriolet individuelles Flair.«
    Ich kannte den Meister noch nicht genug, ich hatte die

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