Das Beben
Vorstellung seines kauzigen, kompromißlosen Künstlertums, die er von sich verbreitet hatte, noch zu eindringlich im Gedächtnis. Jeden Augenblick mußte es zu einem Ausbruch kommen, der die Abgesandten in ihre Marketing-Abteilung zurücktrieb. Der Meister hatte die Worte des arbeitenden Paares in einem bangen Gestammel auslaufen und verhallen lassen. Er schwieg und legte die feinknochige Hand auf seinen Bart. Dann erhob er sich und ging zu einem Regal. Dort standen zwei neue Teekessel, der eine aus rotem, der andere aus weißem Email, Nostalgieprodukte aus einem Kaufhaus, für den Gebrauch in Skihütten bestimmt. Diese beiden Kessel stellte er vor das Paar. Das Paar war zum Ablegen der Wintermäntel nicht ermutigt worden. Obwohl das Zimmer schlecht geheizt war, standen dem Mann schon die Schweißtropfen auf der Stirn.
»Ich denke in letzter Zeit öfter über Autos nach«, sagte der Meister und setzte sich hinter die Teekessel. Die Assistentin ließ das Netz sinken, ihr Chef hielt seine Seite des Netzes noch in die Höhe.
»Diese Teekessel sind Autos«, sagte der Meister. Er habe diese beiden Teekessel soeben gekauft, um seine neue Idee bezüglich der Autoproduktion zu erproben. Es gehe um das große Thema Individualismus in der Massenproduktion. Darum kreisten all seine Gedanken.
»Nun lassen Sie doch endlich dieses grausliche Ding und kommen einmal her.« Er sah dem Chef tief in die Augen, während er die nervigen Hände auf die Deckel der Teekessel legte. Er war ein Zauberer. Das Paar blickte gebannt, die Frau schloß sich der Hypnose ihres Vorgesetzten willig an, obwohl der Meister an sie keine Seelenkraft verschwendete. Er lüpfte die Deckel, den weißen und den roten, und vertauschte sie: Der rote saß jetzt auf der weißen Kanne, der weiße auf der roten. Tableau! Hatte das Paar verstanden? Natürlich nicht, die Hingerissenheit, in die sie sich programmatisch hineingesteigert hatten, behinderte ihr Denkvermögen. Der Meister schüttelte das Haupt, erhob sich, so sportlich er war, mit Mühe und ging erneut zum Regal.
»Hier haben Sie einen Wecker aus dem Kaufhaus« – er zeigte ein weiteres Nostalgieprodukt, einen nachgeahmt-altertümlichen Messingwecker – »Sehen Sie die Schellen? Der Wecker ist aus Messing, aber die Schellen sind aus Kupfer. Ich habe den Verkäufer gezwungen, an diesen Messingwecker die Kupferschellen von einem Kupferwecker dranzuschrauben – für den übrigbleibenden Kupferwecker mit den übrigbleibenden Messingschellen habe ich ihm eine Garantie ausgesprochen: Ist er in einem Jahr nicht verkauft, nehme ich ihn ab – Er hat tatsächlich einmal angerufen, aber ich weiß nicht mehr, wie das ausgegangen ist.«
Mir war klar, wie das Geschäft ausgegangen war. Der zusammengestoppelte Wecker war nicht verkauft worden, aber der Meister hatte erklärt, sich an nichts zu erinnern, und darum gebeten, in Ruhe gelassen zu werden. So schoß es mir durch den Kopf, während das Paar noch immer nichts verstand. Und deshalb bekam es jetzt die Füße des Meisters entgegengestreckt.
»Was sehen Sie? Eine rote und eine gelbe Socke. Ich habe den Verkäufer gezwungen, mir nicht ein Paar rote oder ein Paar gelbe Socken zu verkaufen, sondern eine rote und eine gelbe – verstehen Sie endlich?«
In die inzwischen zu Verzweiflung gewordene Stummheit des Autopaares hinein begann er mit einer Müdigkeit, die von dem erschöpfenden Kampf gegen die Schwerfälligkeit der Menschengeister zeugte, seine Idee nun unverrätselt darzulegen. Es war die Zeit gekommen, wo er nicht mehr in Gleichnissen sprach. Es schwebe ihm ein Auto vor, bei dem alle Teile des Chassis – die Türen, die Motorhaube, der Kofferraumdeckel, die Kotflügel – andersfarbig lackiert seien. Der Kunde solle sich beim Kauf sein neues Auto selbst farblich zusammenstellen können. In diesem vom Kunden selbst schöpferisch gestalteten Auto offenbare sich eine »neue Philosophie«. Diese »neue Philosophie« aber, das habe er beschlossen, werde er mit der durch das Paar hier repräsentierten Autofabrik in die Wirklichkeit umsetzen.
»So wie ich durch den weißen Deckel auf der roten Kanne aus einem gesichtslosen Massenfabrikat ein individuelles Objekt habe werden lassen, so werden Sie das erste individuelle Auto anbieten können.« Die Vorteile lägen auf der Hand. Wenn man eine Schramme an diesem Auto habe, müsse man nur das entsprechende beschädigte Teil neu lackieren, nicht gleich, wie jetzt, den ganzen Wagen. Aber das liefere er ihnen nur
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