Das Beben
sternenhafter, von nichts Irdischem berührter Heiterkeit.
Der Meister sah mich unversehens an und sagte dann zu Herrn Tofet: »Das ist ein großer Schweiger. Die sind die schlimmsten. Sie sagen nichts, aber sie machen nachher die schlimmsten Sachen.«
4.
Das silberne Telephon
Sein Instinkt trog den Meister nicht. Ich sah aus dem Fenster in den struppigen Dachgarten, in dem die Spatzen zwischen den vertrockneten Strünken umherhüpften, als hofften sie, hier oben auf eine vergessene Samenkapsel zu stoßen, die ihre Körnchen bis in den Januar bewahrt hatte. Eine stille Weile fühlte ich seinen Blick auf mir ruhen. Es war, als krabbele mir eine schwerfällig gewordene Fliege in den Hemdkragen. Ich wartete darauf, daß dieser Unverschämtheit irgend etwas folgte, ein gespielter Wutanfall vielleicht, aber dem Meister schien es zu genügen, einen Verdacht recht grob auszusprechen, um die Gefahr damit gebannt zu haben. Der braune Herr Tofet nahm die Worte seines Herrn ungerührt entgegen. In seiner Sphäre war es wohl üblich, sich vor den Leuten in acht zu nehmen. War er nicht selbst ein solcher Schweiger? Er sprach kaum, während er im Zimmer war, und schenkte mir so viel Aufmerksamkeit wie dem Küchenstuhl, den er soeben zur Seite schob.
Ich war zu meiner Tat entschlossen, seitdem ich Manon erkannt hatte, und der Entschluß versetzte mich in die entspannte Ruhe einer Katze, die vor dem Mauseloch lauert und jede Bewegung unterdrückt. Solange ich aus dem Fenster sah, davon war ich überzeugt, würden auch der Meister und Tofet sich nicht mit den Photographien beschäftigen. Ich hatte nur eine einzige Sehnsucht: eines dieser Bilder genau zu studieren und mich daran buchstäblich satt zu sehen. Während ich meine ganze Kraft auf den Verzicht wandte, den Photostapel auch nur aus den Augenwinkeln zu streifen, steigerte sich meine Hoffnung zur Gewißheit. Ich gehöre jener Generation an, der es völlig selbstverständliche Übung war, in Buchhandlungen zu stehlen. Nicht der Schatten eines schlechten Gewissens trübte die Tage meiner Freunde, die sich ganze Regale zusammenklauten – schon im Wort »klauen« lag die lustige Harmlosigkeit, die solche enteignenden Feldzüge angeblich auszeichnete. Meine Hemmungen, es gleichfalls so zu halten, hatten nichts mit meiner Moral zu tun, sondern nur mit meiner Feigheit. Ich genierte mich früher sogar dafür, ein teures Buch gekauft zu haben, und log meinen Kumpanen eine Räubergesinnung vor, zu der mir tatsächlich der Mumm fehlte. Und jetzt übertraf ich die frechsten Bücherdiebe meiner Bekanntschaft an Kaltblütigkeit. Hinter meinem Rücken entfernten sich die Stimmen. Es sollte in dem angrenzenden Zimmer etwas geholt und betrachtet werden. Als hätte ich alle Zeit der Welt, wandte ich mich mit Engelsgeduld dem Tisch zu, trat an ihn heran, nahm, ohne mich umzusehen, das oberste Photo in die Hand und legte es mit Sorgfalt in die Pappmappe, die ich bei mir trug. Alle bösen Geister standen auf meiner Seite. Unter dem Bild, das ich genommen hatte, lag ein sehr ähnliches, es war nur etwas weniger von den Planken des Segelbootes darauf zu sehen.
Als ich aufblickte, bemerkte ich den Automann und seine tüchtige Assistentin, die noch nicht entlassen waren und den Vorgang verfolgt haben mochten, aber meine Miene blieb unbewegt. Mir war, als befände ich mich in meinem guten Recht, und so empfanden es auch die beiden in ihren Wintermänteln und hatten, obwohl sie Zeugen des beiläufigen Handgriffs waren, wahrscheinlich alsbald vergessen, was sich vor ihren Augen abgespielt hatte.
In meinem Büro nahm ich eine große Papierschere und schnitt das Photo in zwei Teile. Der Amazonas-Indianer-Körper mit Missionarsbart kam in den Papierkorb. Manon aber nahm ich mir im Licht der Schreibtischlampe gründlich vor. In ihrer Hüftgegend lag noch die Asketenhand des Künstlers, auf unzähligen nudistischen Segeltouren so braun geworden wie ein Kautabakspfriem. Jahre vollständiger Sonnenlosigkeit würden diese Pigmenthaufen nicht wieder in die Löcher zurücktreiben können, es bliebe zumindest ein schmutziges Gelb-Oliv, das wohl nahe der natürlichen Tönung des Meisters war. Hätte ich auch diese Kralle noch wegschneiden wollen, dann wäre Manons liebliche Hüfte verletzt worden, auf der die pelzige Vogelspinne der Meisterhand krabbelte. Für den Kontrast war sie nicht schlecht: Auf dem Schwarzweißbild hätte man ohne sie Manons Hautfarbe schwer erschließen können. Die stach immer noch,
Weitere Kostenlose Bücher