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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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als Verkaufsargument, das eigentliche Konzept wurzele natürlich im Philosophisch-Ästhetischen. Mit dieser Botschaft schicke er sie nun nach Stuttgart zurück.
    »Alle haben sich schon so auf Ihre Graphik auf dem Netz gefreut«, sagte der Marketingmann schüchtern.
    »Ich habe Größeres mit Ihnen vor«, antwortete der Meister. Er versank in Schweigen. Er zergrübelte sein Hirn nach einem schlagenden Wort, das das Brett vor dem Kopf dieser Leute zerhauen würde. Dann bückte er sich und zog alle gelben Socken aus. Sein Fuß war entfleischt wie eine Hahnenkralle; Fußnägel und gegerbtes, um Sehnen und Knochen gespanntes Fleisch bestanden aus derselben leblosen Substanz. Er zeigte die Socke vor, der Mann mußte sie in die Hand nehmen, die Frau auch. Sie war an der Ferse grün gestopft.
    »Verstehen Sie mich endlich? Ich habe sie bewußt nicht gelb stopfen lassen.«
    Im übrigen könne man die wirkungsvollsten Farbnamen erfinden, um der Phantasie der Käufer auf die Sprünge zu helfen: alabastergrün, tigergelb, orchideenblau, arterienrot, augenweiß und erdschwarz.
    »Der Wiederverkauf wird unmöglich sein«, murmelte die Assistentin.
    »Dummes Zeug«, sagte der Meister und tauschte aufs neue die Deckel der Teekannen. Das Paar folgte ihm bei diesem Tun mit geheucheltem Interesse, um den dünnen Diskussionsfaden bloß nicht reißen zu lassen.
    »Der ganze Vorstand müßte über Ihr Projekt entscheiden«, sagte der Mann in dem Versuch, auf das nun unbeachtet auf dem Boden liegende Netz zurückzukommen.
    »Ich möchte gern mit kompetenten Leuten sprechen«, antwortete der Meister schläfrig, »dann bringen Sie mir den Vorstand.«
    »Das Netz hier könnten wir auf unserer Ebene entscheiden«, sagte der Mann. Die beiden standen in ihren Wintermänteln vor dem Tisch des Meisters wie Prozeßzeugen vor einem aus einer Höhle geholten weisen Richter. »Es geht uns bei der Sache überhaupt nicht um Geld – es ist die Schönheit der Idee, für die wir kämpfen. Wir sind auch schon mit den Erben von Miró in Palma de Mallorca im Gespräch. Dort kann man sich eine Zusammenarbeit sehr gut vorstellen, die Erben von Miró sagen, es gehe Ihnen vor allem um die Verbreitung des Werkes ihres Großvaters, sie sähen eine Zusammenarbeit mit der Industrie sehr positiv.«
    »Um Geld geht es mir auch nicht«, sagte der Meister. Große Würde lag in seinen Worten. »Und auch mir geht es darum, der Industrie zu helfen.« Zur Technik habe er seit jeher vertreten: Es gebe keine schlechte Technik an sich, nur gut angewandte und schlecht angewandte. Er erhob sich mühsam, das Paar mußte zusehen, wie sehr sich der erfinderische Greis um seinetwillen anstrengte. Auf dem Regal lag allerlei Papier. Er suchte quälend lang, als sei er allein, und kehrte dann mit einer Zeitschrift zurück. Diese Zeitschrift schenke er ihnen. Darin stehe ein Interview mit ihm, und in diesem Interview habe er zuerst preisgegeben, daß er ein Auto plane.
    »Aber damals habe ich nicht gesagt, daß ich das Auto mit Ihnen plane. Zeigen Sie das Ihren Herrschaften, das wird sie überzeugen.« In diesem Augenblick betrat ein dunkelbraungebrannter Mann mit Brillantinescheitel die Szene, Herr Tofet, der Agent, und neben seinem aus der Höhle gekrochenen Herrn war er mit goldfunkelnden Knöpfen am Blazer, Goldarmband und dickem Goldring die überraschendste Erscheinung. Er grüßte knapp und wandte sich dann sofort in gebrochenem Deutsch an den Meister, in dringender Angelegenheit. Er komme von Kurzenegger und Silvini, den Anwälten: Die Sache mit der Veröffentlichung der Photos sei entschieden.
    Der Meister wurde hellwach. Tofet legte einen Stoß großer Schwarzweißabzüge auf den Tisch. Ich konnte sie, ohne den Kopf zu verdrehen, in Ruhe studieren, während das Paar sich bückte und bedrückt und blamiert das Netz wieder in die Tasche packte. Auf einem Bootsdeck stand der Meister, der Wind spielte in seinem silberfädigen Bart. Das arabische Mützchen war sein einziges Bekleidungsstück. Er war vollkommen fleischlos. Man hätte mit dem Fingerknöchel auf sein Brustbein klopfen mögen, das hätte geklungen wie ein Holzbrett. In der Unschuld eines Wilden hielt er dem Kameraauge das kleine Schrumpelding zwischen seinen Beinen hin. Er besaß eine Souveränität, als sei er der einzige Mann auf der Welt. Und neben ihm stand, ohne Hose, aber mit einer winzigen Bluse, die kaum die großen Brüste bedeckte, vom Wind leicht zerzaust, aber so milchblaß wie immer, Manon, in

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